Coronärrisches

Anstand, Abstand und Ellbögeln

Horizonte
Édition
2021/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19686
Bull Med Suisses. 2021;102(1314):481

Affiliations
Dr. med., ehemaliger medizinischer Chefarzt Spital Wetzikon, Mitglied FMH

Publié le 31.03.2021

Schon als kleine Kinder wurden wir darauf dressiert, unbekannten Menschen die Hand zu geben – die Rechte! Bei den Pfadi begrüssten wir uns herznäher mit der Linken. Der freundliche Spaziergänger mit kräftigem Händedruck hatte vielleicht zuvor einen Hundedräck beseitigt oder mit blossen Fingern den Rotz in der eigenen Nase. Das wurde nicht als hygienisches Problem erkannt. Gib schön d Hand!
Tanten waren mit einem einzigartigen Kuss auf die linke Wange zu begrüssen, wo unsere verkniffenen Lippen auf der nach Kölnisch Wasser riechenden schlaffen Haut landeten. Das Küssen beidseits oder gar dreifach – links–rechts–links – wurde erst später Mode und gerne von und an jungen Mädchen geübt. Küsse auf die Lippen gab uns Knirpsen nur die Mutter vor dem Schlafengehen oder wenn sie für einige Zeit wegging.
An Skiliften, vor Glacébuden oder am Eingang zum Zirkus Knie hatten wir uns anständig in Warteschlangen einzureihen und durften nicht ellbögelnd nach vorne drängen. Mussten wir niesen oder husten, diente die Ellenbeuge als Notlandeplatz für schleimigen Auswurf, falls nicht sofort ein Taschentuch verfügbar war. Pfui!
Corona sei Dank soll nun aber der Ellbogen beim ­Social Distancing eine Hauptrolle übernehmen, wobei direkter Kontakt zu unterlassen ist. Das Vermeiden eines Bumps schützt vor einer Bursitis olecrani, dürfte aber die Viren nicht daran hindern, sich weiterhin per Luftpost zu verbreiten.
Das von Staatsoberhäuptern gegenseitig angedeutete Ellbögeln wirkt ebenso komisch wie ihr ungeschicktes Anschnallen einer Maske für blubbernde Durchsagen ins aufgespiesst hingestreckte Mikrophon. Noch drolliger ist der Wuhan Shake, ein beinlicher Berührungstanz mit den Fuss­innenseiten.
Asiatische Völker pflegen die Kunst der differenzierten Begegnung mit Fremden, Freunden oder Familienangehörigen. Der Abstand bei der Begrüssung, die Lautstärke der Stimme, der Winkelgrad der Verbeugung, die Stellung der Füsse und das Falten der Hände oder deren Verweilen auf der Brust ist zeremoniell geregelt und wird schon in der Schule geübt.
So genau müssen wir in Europa vorbeugendes Namaste gewiss nicht lernen. Die Verrenkungen der Ellbogen oder beider Beine können und sollten ersetzt werden durch eine leichte Verbeugung des Oberkörpers mit Auflage jener Hand aufs Herz, die nicht schon anderswo beschäftigt ist oder noch im Hosensack steckt.
Die Begrüssung seiner Fans mit hochgestreckter geballter Faust hat Barack Obama geliebt. Dieser Fist Bump ist das einzige, was Trump von seinem Vorgänger übernommen hat; wir wollen es nicht kopieren.
Sind Sie schon zweimal geimpft, angemeldet, noch nicht gepiekt oder keinesfalls dazu bereit? Oder nur, wenn überzeugendere Argumente nachgeliefert werden? Was raten Sie anderen? Gut informiert und eigenverantwortlich zu entscheiden wäre uns allen zu wünschen, unbeeinflusst von aufdringlichen Gläubigen aller Art. Doch wer oder was schützt uns gegen Fake News und eigenen Starrsinn?
Die erste Welle brachte überraschend eine hilfsbereite Leidgenossenschaft, die nun in der zweiten Welle in eigennütziger Neidgenossenschaft versinkt. Jagd auf Sündenböcke war eine beliebte Ausflucht in früheren Pandemien. Sind wir digitalisierten Zeit­genossinnen und -genossen im 21. Jahrhundert nicht fähig, Probleme vernünftiger zu bewältigen? Oder vielleicht doch?
Bernhard Gurtner (maskiert, desinfiziert, seit langem für Impfung angemeldet)