Impfen oder warten, das ist hier die Frage!

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19471
Bull Med Suisses. 2021;102(0102):19-20

Publié le 05.01.2021

Impfen oder warten, das ist hier die Frage!

Keine Frage, die Sicherheit der Impfung ist essenziell. Der Zuwachs an Wissen zum neuen Coronavirus geschieht exponentiell wie dessen Ausbreitung. Zunehmend geraten Folgen von COVID-19 in den wissenschaftlichen Fokus. Das Long-COVID-Syndrom scheint un­abhängig von den meisten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 auf­zutreten. Menschen, die daran leiden, weisen oft keine speziellen Risiken auf. Betroffen sind auffällig häufig jüngere Frauen. Mit höherem Alter und BMI nimmt das Risiko geschlechtsunabhängig zu. Als Komorbidität könnte Asthma, das kein Prädiktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 ist, dazu prädisponieren. Eine interessante Studie [1] bei über 4000 Patienten mit positiver PCR hat ­ergeben, dass jede siebente Person mehr als 28 Tage daran gelitten hat. Teilweise handelt es sich um Nachwehen, wie sie von anderen viralen Affektionen bekannt sind, teilweise auch nicht. Gehäuft wurden Müdigkeit, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit und Geruchsverlust rapportiert. Verschiedene Organe nebst den Lungen können involviert sein. Viruspersistenz oder Autoantikörper [2], vielleicht stimuliert durch molekulare Mimikry, können pathogenetisch eine Rolle spielen. Vieles ist derzeit noch offen. Der natürliche Verlauf von COVID-19 bei jüngeren Menschen kann mit erheblicher Morbidität einhergehen. Das gilt es bei der Impffrage zu berücksichtigen. Die Impfstoffentwicklung beruht auf verschiedenen Ansätzen [3]. Die raschen Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung sind jahrelangen Vorarbeiten zu Impfungen gegen SARS und MERS zu verdanken. Erst mit der Anwendung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 eröffnet sich über Jahre das Spektrum möglicher un­erwünschter Wirkungen. RNA-basierte Impfstoffe sind in Tiermodellen gut untersucht und humane Phase-III-Trials verlaufen er­mutigend. Spezielle Überwachung erfordert «Vaccine-enhanced disease». Eine gute Übersicht zum Thema findet sich in der zitierten Review [3]. Nach Translation an den Ribosomen wird mRNA rasch degradiert, sie wird nicht in DNA umgeschrieben und gelangt nicht in den Zellkern, womit keine Veränderungen am Erbgut in somatischen Zellen entstehen. Ob Langzeitfolgen auftreten, ist naturgemäss unbekannt. Dies gilt für die Infektion mit SARS-CoV-2 ebenso. Spätfolgen einer Infektion könnten Tumoren oder Autoimmun­krankheiten [2] sein. Die Pandemie nimmt ihre­n Lauf. Ohne wirksame Impfungen ist kein Ende in Sicht. Das veränderte Leben führt ­neben ökonomischen Auswirkungen zu ­mentalen Problemen. Inwieweit diese krankmachendes Potenzial haben, wird sich weisen. In einer epidemiologischen Notfall­situation stösst die individuelle Freiheit an Grenzen. Soziale Verantwortung ist gefragt. Die Debatte, ob man sich impfen lassen soll, wird möglicherweise bald von einer neuen Realität eingeholt: dass nur Geimpfte Zugang zu bestimmten Dienstleistungen und Konsumgütern haben, sei es weil öffentlich-rechtliche oder private Akteure entsprechende regulatorische Vorschriften erlassen.