Das pure Entsetzen

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19458
Bull Med Suisses. 2020;101(5152):1739

Publié le 15.12.2020

Das pure Entsetzen

Es mag übertrieben sein, dass der Artikel von Brügger und Nägeli mir das pure Entsetzten eingejagt hat. Doch ist er einem solchen sehr nahegekommen. Der Autor und die Autorin stellen das Führen von Spitälern als organisatorisch/ökonomischen Balanceakt dar. Sie verlangen von den in den Spitälern arbeitenden «Experten», damit sind Ärzte und Ärztinnen, aber auch Pflegefachfrauen und -männer gemeint, «nötige Mittel bereitzustellen», damit sich «Spitäler auf dem Markt behaupten» können.
Meiner Meinung nach vergessen Autor und Autorin ganz, dass ein Spital keine Produk­tionsstätte im üblichen Sinn ist. Die Werte, die aus der Tätigkeit in unseren Spitälern erbracht werden, sind nicht mit solchen der ­Produktionswirtschaft vergleichbar. Kranke Menschen zu begleiten, wenn möglich zu ­heilen, Verunfallte wiederherzustellen und Sterbenden beizustehen hat mehr als nur ­einen ökonomischen Wert. Es mag typisch sein, dass im ganzen Artikel nie von «krank», «Kranken» oder «Krankheit» gesprochen wird. Das Kranksein spielt aber im «Balanceakt» die Hauptrolle! Es ist und bleibt hoffentlich die Triebfeder für jegliches Tun auch im Spital.
Zu denken gibt mir zudem die Aussage, dass die ärztliche Entscheidungs- und Handlungsfindung sich nicht über medizinische Kriterien, sondern unter Einbezug betriebswirtschaftlicher und organisatorischer Faktoren wie Qualität und Sicherheit zu gestalten habe. Hat sich die Ärzteschaft und die Pflege bisher nie um Qualität und Sicherheit in unseren Spitälern gekümmert?
Wenn heute Kritik an unserer medizinischen Versorgung angebracht ist, sehe ich praktisch nur falsche ökonomische Anreize, die zur Destruktion von Qualität und Sicherheit führen. Dahinter steht ein Krankenversicherungswesen, das mit mächtiger politischer Kraft eine Plattform bietet, um auf bedenkliche Art Geld zu verdienen. Auf dieser Plattform sind zweifellos auch Ärzte (und weniger Ärztinnen) zu finden, deren Profit schliesslich auch den Spitalökonomen zugutekommt.