SARS-CoV-2 und Covid-19, womit soll man vergleichen? (avec réplique)

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19369
Bull Med Suisses. 2020;101(46):1539

Publié le 11.11.2020

SARS-CoV-2 und Covid-19, womit soll man vergleichen? (mit Replik)

Vorweg, ich bin mit dem Autor völlig einig, SARS-CoV-2 und Covid-19 sind nicht zu verharmlosen. Unglücklich finde ich jedoch den Vergleich mit HIV, einem ätiopathogenetisch völlig unterschiedlichen Krankheitsbild mit einer anderen Altersverteilung.
Was der Autor jedoch nicht erwähnt und meines Erachtens viel näher liegt, ist ein Vergleich von Covid-19 mit bekannten saisonalen respiratorischen Infekten, namentlich verschiedener Formen der Influenza. Wir wissen, dass Influenza global jährlich bis 650 000 Todesopfer fordern und sogar Schweizer Spitäler an das Limit bringen kann. Nationale Sentinel-Systeme sind ein bewährtes Instrument der diesbezüglichen Überwachung. Es befremdet mich deshalb sehr, dass in der Schweiz beschlossen wurde, dieses Jahr Sentinella ab der 11. Kalenderwoche einzustellen. Das RKI in Deutschland hat es weitergeführt, mit sehr überraschenden Resultaten übrigens.
Die dramatischen Prognosen der «Computa­tional Epidemiologists» mit Zehntausenden von Toten haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Daten des BfS zeigen, dass es in der Schweiz bei unter 65-Jährigen dieses Jahr nie eine Übersterblichkeit gegeben hat. Die Gesamtmortalität bewegt sich dieses Jahr im Mittelfeld der letzten 6 Jahre. Dies alles sollte man sich auch vor Augen halten, wenn man schon einen Vergleich mit HIV anstellen will.

Replik zu «SARS-CoV-2 und Covid-19, womit soll man vergleichen?»

Ich danke Kollege Siegrist für den wertvollen Hinweis. In der Tat sind die Krankheitsbilder verursacht durch eine Infektion mit dem ­HI-Virus, dem neuen Coronavirus und dem saisonalen Grippevirus sehr unterschiedlich. Dies nicht nur ätiopathogenetisch und pa­thophysiologisch, sondern auch epidemio­logisch. Hier einen Vergleich anzustellen war durchaus unglücklich. Wir tun uns verhältnismässig einfach mit dem Vergleich von Zahlen; aber wie so oft stehen hinter den Zahlen weitere wichtige Informationen, welche in meinem Artikel nicht genügend zum Ausdruck kamen. Hinzu kommt ein äusserst bedauerlicher Fehler in meiner Darstellung: Die erwähnten 770 000 HIV-Toten beziehen sich auf das Jahr 2018. Die Jahreszahl ist in meiner Berichterstattung untergegangen und führte zu weiterer, äusserst bedauernswerter Ver­unsicherung. Nebst der aus gesellschaf­t­licher Perspektive wichtigen Mortalität sind auch die Morbidität und das individuelle Leid zu beachten. Leider sind die in Zahlen erheblich schwieriger zum Ausdruck zu bringen. Gemäss meiner persönlichen Einschätzung führt Covid-19 zu einer erheblichen Morbidität und einem von mir zum Teil beobachteten grossen Leid, welche nicht unterschätzt werden dürfen. Ich hüte mich davor, dies mit der HIV-Infektion zu vergleichen, und bin in Einklang der Meinung, dass wir dies auch nicht mit einer Influenza-Infektion vergleichen sollten. Die Coronavirus-Pandemie bleibt in vielerlei Hinsicht einzigartig.