Die unbedachte Änderung des luzernischen Spitalgesetzes und seine Folgen

Behandlungsfehler als strafrechtlich relevante Körperverletzung

Tribüne
Édition
2020/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19160
Bull Med Suisses. 2020;101(48):1621-1623

Affiliations
a Dr. med., MBA HSG, PhD, Co-Chefarzt KAIRS, Stabschef Medizin, Luzerner Kantonsspital. Er vertritt hier ausschliesslich seine persönliche Meinung; b Prof. Dr. iur., Universität Luzern, Rechtsanwalt bei SwissLegal Fellmann Rechtsanwälte, Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Luzern

Publié le 24.11.2020

Die Revision des Luzerner Spitalgesetzes von 2020 hat zur Folge, dass die Angestellten des Luzerner Kantonsspitals und der Luzerner Psychiatrie neuerdings nach den Bestimmungen des Privatrechts haftbar sind. Die Angestellten des kantonalen ­Spitals verlieren somit den bis anhin geltenden Rechtsschutz vor Schadenersatzklagen, den sie bisher genossen haben. Diese unbedachte Neuerung dürfte Privatstrafklagen gegen Spitalpersonal Schub verleihen.

Bisherige Bestimmungen

Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird nach Art. 41 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) zum Ersatz verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts ist eine Körperverletzung widerrechtlich, weil damit ein sogenanntes absolutes Recht verletzt wird. Ein Behandlungsfehler qualifiziert sich daher als widerrechtliche Körperverletzung, die neben einer allfälligen Haftung aus dem Vertrag ­(Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt und/oder Spital) stets auch eine ausservertragliche Haftung des Arztes zu begründen vermag [1]. Grundsätzlich würde daher bei einem Behandlungsfehler der an einem öffentlichen Spital angestellte Arzt (oder anderes medizinisches Personal) genauso wie auch ein privater Belegarzt neben dem Spitalträger (Kanton oder spezieller Rechtsträger) stets auch persönlich haften. Nach Art. 61 Abs. 1 OR können der Bund und die Kantone jedoch bezüglich der Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, von den Regeln des Obligationenrechts abweichende Bestimmungen aufstellen [2]. Da Belegärzte keine öffentlichen Angestellten sind, gilt dies für sie natürlich nicht.

New Public Management

Von dieser Möglichkeit, die Haftung seiner Angestellten zu beschränken, hat beispielsweise auch der Kanton Luzern Gebrauch gemacht. Nach § 4 Abs. 1 des Haftungsgesetzes (HG) vom 13. September 1988 (SRL Nr. 23) haftet das Gemeinwesen für den vollen Schaden, den ein Angestellter einem Dritten in Ausübung amtlicher Verrichtungen widerrechtlich zufügt, sofern es nicht nachweist, dass dem Angestellten kein Verschulden zur Last fällt. Der Dritte hat gegen den Angestellten keinen Anspruch (§ 4 Abs. 4 HG).
Im Zuge der in den 1990er Jahren begonnenen und als New Public Management bezeichneten Bestrebungen zur Reform und Modernisierung von Staat und Verwaltung hat auch der Kanton Luzern seine Kliniken rechtlich verselbständigt: Nach § 7 Abs. 1 des Spitalgesetzes des Kantons Luzern vom 11. September 2006 (SRL Nr. 800a) wurden die kantonalen Spitäler unter der Bezeichnung «Luzerner Kantonsspital» und «Luzerner Psychia­trie» in zwei öffentlich-rechtliche Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit umgewandelt. § 33 Abs. 1 des Spitalgesetzes bestimmte jedoch, dass sich die Haftung der Unternehmen und ihres Personals weiterhin nach dem Haftungsgesetz des Kantons Luzern vom 13. September 1988 (SRL Nr. 23) richte.

Reorganisation und Gesetzesänderung

2020 wurde das Spitalgesetz erneut revidiert. Das Luzerner Kantonsspital und die Luzerner Psychiatrie wurden in zwei zwar als gemeinnützig bezeichnete, aber nach Privatrecht organisierte Aktiengesellschaften umgewandelt, deren Alleinaktionär freilich der Kanton bleibt. Die Spitäler sollen so die optimalen Voraussetzungen für eine flexible und transparente Unternehmensorganisation und Unternehmensführung und für Versorgungsverbünde mit anderen Anbietern erhalten. Damit sollen sie in die Lage versetzt werden, die gros­sen Herausforderungen in der Spitalversorgung bestmöglich zu bewältigen und der Luzerner Bevölkerung langfristig eine qualitativ hochstehende und wirtschaftliche Spitalversorgung zu gewährleisten [3].
Die Reorganisation beschränkte sich indessen nicht auf die Übernahme der privatrechtlichen Rechtsform der Aktiengesellschaft. Der kantonale Gesetzgeber ging noch einen Schritt weiter und änderte auf den 1. Juni 2020 auch § 33 des Spitalgesetzes. Neu lautet § 33 nun: «Die Haftung der Unternehmen, ihrer Organe und ihres Personals richtet sich nach den Bestimmungen des Privatrechts.»
In seiner Botschaft führte der Regierungsrat dazu aus: «Die Haftung richtet sich neu ebenfalls ausschliesslich nach dem Privatrecht […], das heisst die Bestimmungen des kantonalen Haftungsgesetzes vom 13. September 1988 […] sind fortan nicht mehr anwendbar. In der Praxis hat dies keine relevanten Auswirkungen, da das kantonale Haftungsgesetz weitgehend auf den Grundsätzen des privaten Haftungsrechts basiert» [4].

Verschlechterte Ausgangslage

In diesem Punkt hat sich der Regierungsrat und mit ihm der kantonale Gesetzgeber aber gründlich getäuscht. Zwar dürfte die Revision kaum dazu führen, dass Patienten in Zukunft in eigenständigen Zivilprozessen statt des Spitals direkt Ärzte oder Pflegepersonal auf Schadenersatz einklagen werden. Sie gibt aber der bereits in den letzten Jahren verzeichneten Tendenz Auftrieb, die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte strafrechtlich zu belangen, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Nach Art. 118 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) vom 5. Oktober 2007 kann sich die geschädigte Person als Straf- oder Zivilklägerin am Strafverfahren beteiligen. Von der Möglichkeit, im Strafverfahren selbst als Strafkläger aufzutreten, haben geschädigte Patienten schon in den letzten Jahren auch bei Behandlungsfehlern in öffentlichen Spitälern immer öfter Gebrauch gemacht, um die Strafverfolgungsbehörden zur Abklärung des massgebenden Sachverhalts zu veranlassen. Diese beschaffen den Betroffenen im Strafverfahren dann von Amtes wegen kostengünstig das Beweisfundament für einen späteren Schadenersatzprozess gegen den Spitalträger. Auch wenn der Geschädigte, der am Strafverfahren als Privatstrafkläger teilnimmt, ein gewisses Kostenrisiko übernimmt, sind diese Kosten doch wesentlich geringer als die Kosten eines Zivilprozesses.
b) Nach Art. 122 Abs. 1 StPO kann die geschädigte Person aber nicht nur selbst die Bestrafung des Täters verfolgen, sondern auch zivilrechtliche Ansprüche aus der Straftat als Privatklägerin adhäsionsweise im Strafverfahren geltend machen. Dieser sogenannte Adhäsionsprozess ermöglicht eine einheit­liche und zügige Beurteilung der aus einer Straftat hergeleiteten Zivilansprüche. Der oder die Geschädigte soll in einem einfachen und raschen Ver­fahren ohne grosses Kostenrisiko zu seinem/ihrem Recht kommen und zur Erledigung seiner/ihrer zivilrechtlichen Ansprüche nicht einen separaten Zivil­prozess anstrengen müssen.
Bis anhin war es im Kanton Luzern nicht möglich, in einem Strafverfahren gegen einen in einem kantonalen Spital angestellten Arzt Zivilansprüche zu stellen, weil § 33 des alten Spitalgesetzes i.V.m. § 4 Abs. 4 HG eine Schadenersatzklage gegen Angestellte ausschloss. Die Änderung von § 33 des Spitalgesetzes hat nun aber zur Folge, dass in Zukunft neben dem Spital und seinen Organen auch die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal für Behandlungsfehler persönlich haften. Diese unbedachte Neuregelung dürfte Privatstrafklagen gegen Spitalpersonal Schub verleihen, ist es doch nun möglich, im Strafverfahren auch gegen sie adhäsionsweise Schadenersatzansprüche zu stellen. Die kantonalen Spitäler mit angestellten Ärztinnen und Ärzten sind daher gut beraten, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen adäquaten Versicherungsschutz zu verschaffen.

Das Wichtigste in Kürze

• Grundsätzlich stellt ein Behandlungsfehler eine widerrecht­liche Körperverletzung dar. Diese begründet neben einer allfälligen Haftung aus dem Vertrag (Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt und/oder dem Spital) stets auch eine ausservertragliche Haftung des Arztes.
• Nach Art. 61 Abs. 1 OR können der Bund und die Kantone jedoch die Haftung ihrer Angestellten beschränken. Davon hat der Kanton Luzern und damit die kantonalen Spitäler bisher Gebrauch gemacht.
• Der kantonale Gesetzgeber änderte per 1. Juni 2020 § 33 des Spitalgesetzes. Dies hat zur Folge, dass neu neben dem Spital und seinen Organen auch die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal persönlich für Behandlungsfehler haften. Dies dürfte der Tendenz, für Behandlungsfehler verantwort­liche Ärztinnen und Ärzte strafrechtlich zu belangen, weiteren Auftrieb geben.

L’essentiel en bref

• Une erreur médicale constitue en principe un préjudice corporel illicite. Outre l’éventuelle responsabilité découlant du contrat (contrat de traitement entre le patient et le médecin et/ou l’hôpital), cela constitue également une responsabilité non contractuelle du médecin.
• Toutefois, en vertu de l’article 61, paragraphe 1, CO, la Confé­dération et les cantons peuvent limiter la responsabilité de leurs employés. Le canton de Lucerne et donc les hôpitaux cantonaux ont jusqu’à présent fait usage de cette possibilité.
• Le législateur cantonal a modifié l’article 33 de la Loi sur les hôpitaux à compter du 1er juin 2020. En conséquence, non seulement l’hôpital et ses organes, mais aussi les médecins et le personnel infirmier sont désormais tenus personnellement responsables des erreurs de traitement. Cela devrait encore plus accentuer la tendance à engager des poursuites envers les médecins responsables d’erreurs médicales.
guido.schuepfer[at]luks.ch
1 Aebi-Müller/Fellmann/Gächter/Rütsche/Tag, Arztrecht, Bern 2016, § 7 N 102ff. m.w.H.
2 Aebi-Müller/Fellmann/Gächter/Rütsche/Tag (Fn. 1), § 7 N 117ff. m.w.H.
3 Botschaft des Regierungsrates an den Kantonsrat vom 14. Juni 2019, B 173, Änderung der Rechtsform der kantonalen Spitalunternehmen, S. 2.
4 Aebi-Müller/Fellmann/Gächter/Rütsche/Tag, Arztrecht, Bern 2016, § 7 N 102ff. m.w.H, S. 22.