mRNA-Impfstoffformate

Sichere und effiziente mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2

Tribüne
Édition
2020/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19135
Bull Med Suisses. 2020;101(39):1234-1236

Affiliations
PD Dr., UniversitätsSpital Zürich

Publié le 22.09.2020

Die COVID-19-Pandemie fordert Menschenleben und ist verheerend für die Wirtschaft. Die Entwicklung eines Impfstoffs auf der Basis von mRNA wurde beschleunigt, sodass er wahrscheinlich noch vor Ende des Jahres zur Verfügung stehen wird. Ein in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlichter Beitrag [1] brachte mRNA-Impfstoffe fälschlicherweise mit gefährlichen Nebenwirkungen in Verbindung. Der vorliegende Text möchte dies richtigstellen und die vielversprechenden Ergebnisse darlegen, die in klinischen Studien der Phase I(/II) mit mRNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 erzielt wurden.
Die seit 20 Jahren verfügbare mRNA-Impfstoff-Technologie erfährt nun durch die Pandemie endlich die erforderliche Entwicklung und öffnet nicht nur im Kampf gegen SARS-CoV-2 neue Möglichkeiten für die Impfstrategien gegen neue (und alte) Erreger [2]. Die bisherige Erfahrung liefert wertvolle und beruhigende Informationen zur Sicherheit und Wirksamkeit der mRNA-Impfungen (für einen Überblick siehe aktuelle Arbeiten von Alameh et al. [3] zu Infektionskrankheiten und von Gomez-Aguado et al. [4] zu mRNA-Therapien). Die möglichen Nebenwirkungen werden durch den grossen Vorteil der raschen Verfügbarkeit für Millionen Menschen aufgewogen.

Sicherheitsaspekte von mRNA-Impfstoffen

Als Mitgründer von CureVac im Jahr 1999 und Experte für mRNA-Impfstoffe (ich habe die erste pharmazeutische Produktion von mRNA und die ersten klinischen Studien durchgeführt, bei denen Menschen mRNA-Impfstoffe injiziert wurden [5–12]) möchte ich zur ­Sicherheit der Technologie Stellung nehmen. mRNA-Impfstoffe gibt es in verschiedenen Formaten (nicht-­replizierend versus selbstverstärkend) und Formulierungen (nackt versus in Nanopartikeln formuliert). Das nicht-replizierende mRNA-Format, insbesondere wenn es «modifiziert» ist (immunstimulierende Nukleotide wie Uridin werden durch nicht-immunstimulierende Nukleotide wie Pseudouridin ersetzt), hat sich in mehreren veröffentlichten präklinischen und klinischen Studien als effizient und sicher in der verwendeten Dosis, Formulierung und Applikation erwiesen. Drei entscheidende Sicherheitsaspekte sind:
– RNA ist ein natürliches Molekül, das nach der Injektion von den Zellen aufgenommen, in Proteine (das Antigen) übersetzt und natürlich abgebaut wird. Die vorübergehende (einige Stunden bis Tage anhaltende) Expression des Antigens führt zur Entwicklung einer adaptiven Immunantwort. Von der injizierten mRNA bleiben keine Spuren zurück, da die RNA innerhalb von maximal einigen Tagen in ihre natürlichen Bestandteile (Nukleotide) abgebaut wird.
– Die Formulierung, am häufigsten in Liposomen, könnte möglicherweise Sicherheitsbedenken aufwerfen, z. B. was die Pharmakokinetik der injizierten Lipide betrifft. Dank der Fortschritte bei den RNA-Formulierungen, selbst für chronische Verabreichungen (Gentherapien mit RNA, zum Beispiel Onpattro®), konnten jedoch sichere ­Nanopartikel entwickelt werden.
– Die durch den Impfstoff ­induzierte Immunantwort könnte theoretisch Probleme auslösen (z. B. Autoimmunität, Allergie, Erleichterung der Virusinfektion usw.), wie dies bei jedem Impfstoff der Fall ist.
Format, Formulierung, Dosis/Zeitplan und Injektionsstelle der mRNA beeinflussen Sicherheitsprofil und Wirksamkeit des Impfstoffs. Dies muss systematisch durch Dosis-Eskalationsstudien der Phase I(/II) getestet werden. Im Zusammenhang mit COVID-19 wurden im Sommer 2020 die Ergebnisse von zwei Phase-I(/II)-Studien veröffentlicht, bei denen intramuskuläre Injektionen von liposomal formulierter, nicht-replizierender modifizierter mRNA verwendet wurden.

Studienergebnisse

– Moderna (Boston, USA) begann am 16. März mit der Injektion ihres Impfstoffformats (mRNA-1273, für ein mutiertes «Pre-Fusion» SARS-CoV-2 Spike-Protein in voller Länge kodiert) an gesunden Freiwilligen und verwendete 25, 100 und 250 Mikrogramm mRNA pro Injektion (Prime und vier Wochen später Boost) in drei Kohorten von je 15 Teilnehmern [13]. Alle injizierten Personen haben nach der ersten Injektion serokonvertiert (selbst bei der Dosis von 25 Mikrogramm; drei Teilnehmer erhielten die zweite Injektion aus Gründen, die nichts mit dem Impfstoff zu tun hatten, nicht). Den Virus neutralisierende Antikörper wurden bei allen Freiwilligen nach der zweiten Impfung nachgewiesen. Der Impfstoff, insbesondere die Dosis von 25 und 100 Mikrogramm, war sicher und gut verträglich, was mit ­früheren Daten über mRNA-Impfstoffe übereinstimmt. Unerwünschte Ereignisse waren fast alle leicht bis mittelschwer und selbstlimitierend. Allerdings hatte ein Teilnehmer in der 100-­Mikrogramm-Dosis ein Erythem Grad 3 um die Injektionsstelle herum, und ein Patient mit der 250-Mikrogramm-Dosis hatte nach der zweiten Impfung hohes Fieber, mit Schüttelfrost und leichter Müdigkeit, Myalgie und Kopfschmerzen, die symptomatisch behandelt wurden. Dieser Patient berichtete am nächsten Tag von leichten Kopfschmerzen und an Tag sechs nach der Impfung von leichter Müdigkeit. Eine Phase-III-Studie mit der sichereren Dosis von 50 und 100 Mikrogramm ist im Gange.
– BioNTech (Mainz, Deutschland) und Pfizer verwendeten einen niedrigeren Dosisbereich (10 und 30 Mikrogramm: Prime und drei Wochen später Boost und 100 Mikrogramm: nur eine Injektion) für ihren ­ersten veröffentlichten (zwei von vier untersuchten Formaten) mRNA-Impfstoff BNT162b1, der eine trimerische Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des SARS-­CoV-2-Spike-Proteins kodiert [14], und BNT162b2, der ein «Pre-Fusion» SARS-CoV-2 Spike-Protein in voller Länge kodiert [15]. Es gab 13 Gruppen (zwei Popula­tionen: 18–55 Jahre alt und 65–85 Jahre alt) mit 15 Freiwilligen pro Dosisstufe (12 Personen erhielten den Impfstoff, drei ein Placebo). Bei den Dosen von 10 und 30 Mikrogramm wurden mit Schmerzen an der Injektionsstelle nur leichte Nebenwirkungen festgestellt. Bei der 100-Mikrogramm-Dosis gab es einen Bericht über starke Schmerzen. Müdigkeit und Kopfschmerzen traten in den Impf-Gruppen im Vergleich zum Placebo häufiger auf. Darüber hinaus wurden Schüttelfrost sowie Muskel- und Gelenkschmerzen bei den Empfängern von BNT162b1 und BNT162b2 festgestellt. Es wurde über keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse berichtet. Die systemischen Nebenwirkungen nahmen mit zunehmender Dosis zu. Bei einigen Teilnehmenden wurden Lymphopenie und Neutropenie beobachtet. Die Werte normalisierten sich innerhalb weniger Tage. Reaktogenität und systemische Nebenwirkungen waren in den älteren Gruppen milder als in den jüngeren.
Wie in der Moderna-Studie hatten alle mit Impfstoff injizierten Personen eine Serokonversion (selbst bei einer Dosis von 10 Mikrogramm) und neutralisierende Antikörper (ähnlich oder höher als im Serum von infizierten Patienten) an Tag 28 (vier Wochen nach der ersten Injektion). Die durch BNT162b1 und BNT162b2 ausgelösten serologischen Reaktionen waren ähnlich. Beide Impfstoffe lösten bei 65- bis 85-Jährigen im Vergleich mit den 18- bis 55-Jährigen geringere Antikörperreaktionen aus. Die systemischen Nebenwirkungen als Reaktion auf BNT162b2 waren milder als die auf BNT162b1. Aus diesem Grund haben die Unternehmen BNT162b2 für die zulassungsrelevante Phase-III-Studie (30 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer) gewählt.

Impfstoff eventuell noch vor Jahresende

Weltweit sind über 800 000 Menschen an einer SARS-CoV-2-Infektion gestorben, und die sehr negativen ­gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 müssen erst noch vollständig evaluiert werden. Es ist daher erfreulich zu sehen, dass die Behörden alles daransetzen, die bereits etablierte, viel­seitige, ­sichere und effiziente Technologie mit den mRNA-Impfstoffen zu fördern. Natürlich müssen, wie bei ­jedem Impfstoff, die Nebenwirkungen in Zulassungsstudien und Studien nach dem Inverkehrbringen weiter überwacht werden. Die grossartigen Ergebnisse der kli­nischen Phase I(/II)-Studien von Moderna und BioNTech/Pfizer sowie der Fast-Track-Status werden es aber voraussichtlich ermöglichen, die Anti-COVID-19-mRNA-­Impfstoffe noch vor Ende 2020 zu validieren. Moderna und BioNTech/Pfizer könnten noch dieses Jahr hundert Millionen Dosen produzieren, so dass Menschen auf der ganzen Welt sehr bald geimpft werden können, sollte in der Phase III die Wirksamkeit des Impfstoffes bewiesen werden. Die Ergebnisse werden im Oktober erwartet. Die Schweiz hat 4,5 Millionen Impfstoffdosen bei Moderna reserviert. Dies wird ausreichen, um über 2 Millionen Menschen zu impfen. Dazu würden wahrscheinlich viele der über eine Million Personen gehören, die jedes Jahr in der Schweiz den Grippeimpfstoff erhalten, da ähnliche Bevölkerungsgruppen von Influenza- und SARS-CoV-2-Infektionen besonders bedroht sind. In der Zwischenzeit könnte sich die Schweiz ein Beispiel an Grossbritannien nehmen und ein staatliches Institut fördern, die Impfstoffe herstellen, um in Zukunft neuen Pandemien rasch und wirksam begegnen zu können [16]. Wie ­COVID-19 gezeigt hat, ist die mRNA eines der ein­fachsten, schnellsten, sichersten und ­effizientesten Impfstoffformate. Es wird eine Pre­miere in der Medizingeschichte sein, es innerhalb von weniger als einem Jahr nach der Identifizierung eines neuen Virus bis zu einem validierten Impfstoff geschafft zu haben. Die Entwicklungsgeschwindigkeit hängt mit den Merkmalen von mRNA-Impfstoffen ­zusammen: Für jedes Antigen kann in weniger als drei Monaten ein injektionsfertiger mRNA-Impfstoff für den Menschen hergestellt werden, wie dies von Moderna für den Impfstoff gegen COVID-19 und von BioNTech für individualisierte Impfstoffe gegen Krebs getan wurde. Es bleibt zu wünschen, dass diese rasche Entwicklung eine Vorreiterrolle für die anderen mRNA-Impfstoffe (gegen Krebs und Viren), die evaluiert werden, einnehmen wird und auch für ­andere mRNA-basierte Therapien (z. B. Gentherapien gegen genetische Krankheiten oder Krebs) den Weg bereiten wird. Die Möglichkeiten der mRNA-basierten Therapien sollten zum Wohle der gesamten Bevölkerung und der Patienten voll ausgeschöpft werden, ­indem sie von den Behörden begleitet und kontrolliert, aber nicht gebremst werden.

Das Wichtigste in Kürze

• Die seit zwanzig Jahren verfügbare mRNA-Impfstoff-Technologie erfährt durch das Coronavirus die erforderliche Weiterentwicklung. mRNA-Impfstoffe öffnen neue Möglichkeiten für die Impfstrategien gegen neue (und alte) Erreger.
• Format, Formulierung, Dosis/Zeitplan und Injektionsstelle der mRNA beeinflussen Sicherheitsprofil und Wirksamkeit des Impfstoffs. Dies muss systematisch durch Dosis-Eskalationsstudien der Phase I(/II) getestet werden.
• Im Sommer 2020 wurden die Ergebnisse von zwei Phase-I(/II)-Studien mit vielversprechenden Resultaten veröffentlicht. Zwei mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 sollten vor Ende des Jahres verfügbar sein.

L’essentiel en bref

• La technologie des vaccins à ARNm, disponible depuis 20 ans, connaît un développement nécessaire en raison du ­coronavirus. Les vaccins à ARNm ouvrent de nouvelles possibilités pour les stratégies de ­vaccination contre les nouveaux (et anciens) agents pathogènes.
• Le format, la formulation, le rapport dose/temps et le site d’injection de l’ARNm influencent le degré de sécurité et l’efficacité du vaccin. Cela doit être systématiquement testé par des études de phase I(/II) à doses croissantes.
• En été 2020, les résultats de deux études de phase I(/II) ont été publiés avec des résultats prometteurs. Deux vaccins mRNA contre SARS-CoV-2 devraient être disponibles avant la fin de l’année.
Steve Pascolo hat keine Interessenkonflikte in Bezug auf diesen ­Artikel und anti-COVID-19 mRNA-Impfungen allgemein; er ist seit 2006 nicht mehr bei CureVac tätig.
PD Dr. Steve Pascolo
University Hospital of Zuerich
Department of Dermatology
Gloriastrasse 31
CH-8091 Zuerich, Switzerland
Steve.Pascolo[at]usz.ch
 1 Arvay C. Genetische Impfstoffe gegen COVID-19: Hoffnung oder Risiko? Schweiz Ärzteztg. 2020;101(2728):862–4.
 2 Jackson NAC, Kester KE, Casimiro D, Gurunathan S, DeRosa F. The promise of mRNA vaccines: a biotech and industrial perspective. NPJ Vaccines 5, 11. doi:10.1038/s41541-020-0159-8 (2020).
 3 Alameh MG, Weissman D, Pardi N. Messenger RNA-Based Vaccines Against Infectious Diseases. Curr Top Microbiol Immunol. doi:10.1007/82_2020_202 (2020).
 4 Gomez-Aguado I, et al. Nanomedicines to Deliver mRNA: State of the Art and Future Perspectives. Nanomaterials (Basel) 10. doi:10.3390/nano10020364 (2020).
 5 Pascolo S. Messenger RNA-based vaccines. Expert Opin Biol Ther 4, 1285–94. doi:10.1517/14712598.4.8.1285 (2004).
 6 Pascolo S. Vaccination with messenger RNA. Methods Mol Med 127, 23–40, doi:1-59745-168-1:23 [pii] 10.1385/1-59745-168-1:23 (2006).
 7 Pascolo S. Vaccination with messenger RNA (mRNA). Handb Exp Pharmacol, 221–35, doi:10.1007/978-3-540-72167-3_11 (2008).
 8 Pascolo S. The messenger’s great message for vaccination. Expert Rev Vaccines 14, 153–6. doi:10.1586/14760584.2015.1000871 (2015).
 9 Pascolo S. Messenger RNA: The Inexpensive Biopharmaceutical. Journal of Multidisciplinary Engineering Science and Technology (JMEST) 4, 6937–41 (2017).
10 Rittig SM, et al. Intradermal vaccinations with RNA coding for TAA generate CD8+ and CD4+ immune responses and induce clinical benefit in vaccinated patients. Mol Ther 19, 990–9. doi:mt2010289 [pii] 10.1038/mt.2010.289 (2011).
11 Weide B, et al. Results of the first phase I/II clinical vaccination trial with direct injection of mRNA. J Immunother 31, 180–8. doi:00002371-200802000-00007 [pii] 10.1097/CJI.0b013e31815ce501 (2008).
12 Weide B, et al. Direct injection of protamine-protected mRNA: results of a phase 1/2 vaccination trial in metastatic melanoma patients. J Immunother 32, 498–507. doi:10.1097/CJI.0b013e3181a0006800002371-200906000-00008 [pii] (2009).
13 Jackson LA, et al. An mRNA Vaccine against SARS-CoV-2 – Preliminary Report. N Engl J Med, doi:10.1056/NEJMoa2022483 (2020).
14 nature.com/articles/s41586-020-2639-4_reference.pdf.