Konzernverantwortungsinitiative: «Swiss» Cigarette, eine verantwortliche Schweizer Multinationale?

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/3334
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19130
Bull Med Suisses. 2020;101(3334):981

Publié le 12.08.2020

Konzernverantwortungsinitiative: «Swiss» Cigarette, eine verantwortliche Schweizer Multinationale?

Wie die von den Familien- und Kinderärzten lancierte Volksinitiative «Zum Schutz der Kinder vor Tabakwerbung» hat der Bundesrat im Mai auch die Konzernverantwortungsinitiative abgelehnt. Das dürfte in der Schweizer Bevölkerung dasselbe Unverständnis auslösen wie der 2019 beinahe geglückte Sponsoringvertrag des Schweizer Pavillons in Dubai zwischen Ignazio Cassis’ Departement und Philip Morris.
Briefkastenkonzerne wie Vale in der Waadt und Glencore in Zug, die wegen Verletzungen der Menschenrechte weltweit Schlagzeilen verursachen, nehmen Schweizerinnen und Schweizer nicht als einheimisch wahr, da sie einzig wegen Steuervorteilen hier sind. Gehören aber die unter dem Namen «Swiss» Cigarette tätigen Philip Morris, British Tobacco und Japan Tobacco in eine andere Kategorie? Wie der Pharma-, Lebensmittel-, Banken- und Versicherungssektor, schaffen sie doch Arbeitsplätze und bezahlen Steuern? Mit guten Gründen misstraut die schweizerische Öffentlichkeit dieser Industrie dennoch. Nicht nur betreiben Tabakfirmen ein Geschäftsmodell, das auf der Verbreitung der Nikotinsucht unter Jugendlichen beruht. Seit Jahren täuschen sie auch Öffentlichkeit und Behörden über Toxi­zität und Suchtpotential ihrer Produkte und beeinflussen die Gesetzgebung [1]. Mit «Schadensminderung» spielen sie sich seit Jahren als Partner der öffentlichen Gesundheit auf, obwohl sie Massnahmen zur Eindämmung der Tabakepidemie systematisch bekämpfen. Sie verletzen damit das Recht der Menschen auf Gesundheit und das Recht auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor besonderer Gefährdung. Diese Industrie, genau wie Glencore und Vale, ist auch für Umweltschäden und Behinderung der dauerhaften Entwicklung verantwortlich [2]. Denn Tabakanbau ist mit Kinderarbeit, Pestiziden, Entwaldungen und Ausbeutung der Bauern verbunden, deren Land besser genutzt werden könnte.
Beide Initiativen verfolgen das Ziel, dass auch unser Staat Firmen klare gesetzliche Schranken setzt. Die Schweiz soll dauerhafte Entwicklung fördern und Verletzungen der Menschenrechte verhindern helfen. Dass der Bundesrat die Initiativen ablehnt, begünstigt Gesellschaften, die von Steuervorteilen, dem besonderen Ruf und der liberalen Gesetz­gebung der Schweiz profitieren wollen, deren Geschäftsgebaren aber anderswo strafbar ist. Unser Land duldet dies, wie die Tabakindus­trie und die Skandale um Schweizer Gross­firmen zeigen, der Reputationsschaden ist Tatsache. Dass die Umsetzung der Initiativen als «Alleingang» die Schweizer Wirtschaft gefährde, ist Irreführung; beide Initiativen gefähr­den lediglich inakzeptables Verhalten. Den grössten Teil unserer Wirtschaft bilden KMUs und Unternehmen, die sich nichts vorzuwerfen haben. Sowohl das umfassende Werbeverbot für Tabak- und Nikotinprodukte zum Schutz der Kinder gemäss FCTC wie auch die Konzernverantwortung sind im interna­tionalen Recht und in Frankreich, Grossbritannien, den Niederlanden und Deutschland sowie in der der EU verankert. Durch ihr Ablehnen wollen Bundesrat und Parlament offenbar gesetzwidriges Verhalten weiterhin zulassen. In einer Zeit, die der Bevölkerung die negativen Folgen der Globalisierung bewusst macht, werden wohl Volksabstimmungen über die Initiativtexte das Abseitsstehen unseres Landes korrigieren.
1 Kaelin RM. Der Staat im Staat. Schweiz Ärzteztg. 2019;100(43):1438–40.
2 Sonja von Eichborn (Hrsg.). Ruinierte Natur. Entwaldung, Pestizide, und Nikotin. Unfairtobacco 2018.www.unfairtobacco.org