Revision tut not! (avec réplique)

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/2526
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19025
Bull Med Suisses. 2020;101(2526):799-800

Publié le 17.06.2020

Revision tut not! (mit Replik)

Der Artikel des VSAO über die Einhaltung des gesetzlichen Rahmens und der Befindlichkeit der Assistenz- und OberärztInnen bedarf genauerer Betrachtung:
In Zahlen: 12 928 Mitglieder wurden angeschrieben. 2944 (22%) haben ausgefüllt. 62% davon arbeiten nicht im gesetzlichen Rahmen. Das sind 15% von allen. Das heisst auch, 85% arbeiten unter legalen Bedingungen. Dies soll das Problem nicht kleinreden, aber relativieren. Dazu sei die Frage nach einem Selek­tionsbias mehr als erlaubt.
Als langjährige Kaderärztin kann ich sagen, dass das Perseverieren auf den gesetzlichen Arbeitszeiten heute nicht mehr zielführend ist und die Assistenz- und Oberärztinnen auch nicht vor einem Burnout schützt. Dies bestätigen die Details der Studie auf der VSAO-Website: «Die Resultate signalisieren somit, dass eine Reduktion der Arbeitsbelastung nur aufgrund einer Kürzung der Pensen das persönliche Wohlbefinden nicht nachhaltig verbessern kann».
Die aktuellen Regelungen sind nicht an die reale Situation im Spital angepasst: Ein Spital ist kein Büro – die Arbeitsbelastung fluktuiert von einer Woche zur anderen. Muss zu strengen Zeiten der Assistenzarzt in der Mitte der Woche angehalten werden, seine Abteilung zu übergeben oder Arbeit abzugeben, resultiert daraus ein neuer Stress und Frustration. Ist es einmal ruhiger, ist es erfahrungsgemäss äus­serst schwierig, die Mitarbeitenden nach Hause zu schicken.
Ich finde sehr frustrierend, der Assistenzärztin zu verbieten, Angehörigen um 18 Uhr noch Auskunft zu einem ihrer Patienten zu geben. Oder dem Assistenzarzt zu sagen, dass ein Nachlesen eines Problems nun einfach nicht mehr drin liegt. Ich zerstöre so die intrinsische Motivation meiner jungen KollegInnen – was wiederum dem Kapitel des Burnouts näher­kommt. Dieses Dilemma resultiert fast alleinig aus Fixierung der Höchstarbeitszeit innerhalb einer Woche! Dafür haben die jungen Ärztinnen auch nicht viel Verständnis – denn Flexibilität ist in ihrem Leben ein wichtiger Punkt: Kompensationstage für Überzeit zusammen zu nehmen in einem verlängerten Wochenende, dafür die Arbeit unter der Woche so zu erledigen, dass es für sie auch befriedigend ist – ein oft geäusserter Wunsch.
Es ist meiner Ansicht nach Zeit, die bestehenden Regelungen noch einmal anzupassen, statt ständig auf der Einhaltung der alten Regelungen zu bestehen:
– eine Verteilung der legalen Arbeitszeit von 50 Stunden/Woche auf 150 Stunden / 3 Wochen;
– eine Aufhebung der 140 nicht eliminier­baren Überstunden.
Damit würde eine flexiblere Planung möglich – sehr im Sinne der Assistenz- und OberärztInnen!

Replik auf: Revision tut not

Die vsao-Mitgliederbefragung 2020 richtete sich wie jene 2017 und 2014 an alle Assis­tenz- und Oberärztinnen und -ärzte, die in der Schweiz arbeiten, dem Verband angehören und dem Arbeitsgesetz unterstehen. Angeschrieben wurden 13 112 Personen (und nicht 12 928), wovon 2944 geantwortet haben – also mehr als jede/r Fünfte; ein im Benchmark für Umfragen guter Wert, der sich überdies im Rahmen unserer früheren Studien bewegt.
Für die Aussagekraft und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit den älteren Erhebungen bürgen nebst der identischen Zielgruppe die identische Befragungsmethode und die – mit Ausnahme des neuen Teils zur Diskriminierung – identischen Fragen. Deshalb sowie ­wegen des über sechs Jahre nachweisbaren Trends darf man mit Fug und Recht schlies­sen, dass die Verletzung des Arbeitsgesetzes bei 62 Prozent der Teilnehmenden die Realität in den Schweizer Spitälern widerspiegelt – leider. Wie man sich hingegen zur Behauptung versteigen kann, jene angeschriebenen vsao-Mitglieder, die sich nicht beteiligt haben, würden allesamt rechtskonform arbeiten, um so auf eine 85-prozentige Einhaltung des Arbeitsgesetzes zu kommen, entzieht sich unserer Kenntnis.
Aber nicht nur bei unseren Zahlen sowie dem Einmaleins der Statistik empfiehlt sich ein red­licher Umgang. Das gilt ebenso bei Zitaten. Die Aussage, «die Resultate signalisieren somit, dass eine Reduktion der Arbeitsbelastung nur aufgrund einer Kürzung der Pensen das persönliche Wohlbefinden nicht nachhaltig verbessern kann», muss im richtigen Kontext wiedergegeben werden. Obschon immer mehr Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit angestellt sind (inzwischen 28 Prozent), wirkt sich die Entlastung auf dem Papier in der Realität nicht positiv aus. Denn auch bei Mitarbeitenden in Teilpensen bestehen weiterhin grobe Differenzen zwischen der effektiven und der gemeldeten/registrierten Arbeitszeit sowie zwischen der effektiven Arbeitszeit und jener gemäss Arbeitsvertrag. Alles nachzulesen, weil auf der vsao-Website publiziert.
Bei dieser Gelegenheit ist mit einem Missverständnis aufzuräumen – oder müssten wir Fehler sagen? Die 50 Stunden pro Woche sind als Höchst- und nicht als Sollarbeitszeit gedacht. Vielfach rechnen die Dienstpläne in den Spitälern jedoch von vornherein mit 50 oder mehr Stunden. Und da liegt der wahre Grund für die mangelnde Flexibilität der Assistenzärztinnen und -ärzte, die im Übrigen während der Arbeitszeit Anrecht auf wöchentlich vier Stunden explizite und vier Stunden implizite Weiterbildung haben – bzw. hätten. Wenn man das Arbeitsgesetz ernst nimmt und mit weniger als 50 Wochenstunden plant, bleibt auch genügend Zeit, damit eine junge Ärztin oder ein junger Arzt eine Arbeit abschliessen oder bei Bedarf kurzfristig umdisponieren kann.
Schwankungen bei der Arbeitsbelastung gibt es in vielen Berufen und Situationen – sie sind nie ein Argument, um den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden abzubauen. Die Forderung, bei den Überstunden auf die Begrenzung zu verzichten, weil sie nicht eliminierbar seien, anerkennt den Wert der geleisteten Arbeit nicht und ist zynisch, wenn man ihr die sich kontinuierlich verschlechternden Werte bei der Befindlichkeit der Befragten ­gegenüberstellt – und bei den Beobachtungen von Patientengefährdungen. Sie zeigt die Kapitulation gegenüber einem kranken Gesundheitssystem und will vor allem eines nicht zur Kenntnis nehmen: dass die junge Ärztegeneration nicht mehr, sondern weniger als 50 Stunden pro Woche arbeiten will – sogar sehr deutlich weniger.