Das Staatsexamen in Zeiten von COVID: Praktikum statt praktischer Prüfung (avec réplique)

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/2526
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19010
Bull Med Suisses. 2020;101(2526):798-799

Publié le 17.06.2020

Das Staatsexamen in Zeiten von COVID: Praktikum statt praktischer Prüfung (mit Replik)

Das praktische Staatsexamen wurde vor einiger Zeit aufwendig umstrukturiert: seit ein paar Jahren durchlaufen die Studentinnen und Studenten einen sog. «Postenlauf», wobei jeder Posten einer anderen Situation im me­di­zinischen Alltag mit Hilfe von Schauspielern nachempfunden ist. Es versteht sich von selbst, dass ein so aufwendiges Examen zu COVID-Zeiten schwierig zu organisieren ist. Die zuständige Prüfungskommission der medizinischen Fakultäten der Schweiz hat dies bereits Ende März 2020 dem BAG mitgeteilt. Im April wurde der jetzt vom Bundesrat genehmigte Vorschlag erstmals an die Präsidentin der ­fakultären Kommission herangetragen, die umgehend die Probleme aufzeigte, welche diese Regelung hätte. Die fakultäre Kommission schlug in der Folge Alternativen für das praktische Examen vor, welche es erlauben würde, das Examen wie vorgesehen 2020 an der jeweiligen Fakultät abzuschliessen. Trotzdem hat das BAG die denkbar schlechteste Lösung vom Bundesrat genehmigen lassen: ein sechswöchiges Praktikum, währenddem die Kandidatinnen und Kandidaten «evaluiert» werden – gestützt auf ein Raster, das noch nicht existiert. Dabei ist vorgesehen, dass sie erst nach Praktikumsabschluss ihr Diplom erhalten. Die zuständige Präsidentin der Prüfungskommission der medizinischen Fakultäten ist sofort nach dem Entscheid des Bundesrates zurückgetreten.

In diesem Zusammenhang stellen sich fünf, bis jetzt ungeklärte Fragen:

1) Weshalb braucht das BAG zwei Monate, um diese Entscheidung fällen zu können, und nimmt somit in Kauf, dass Studentinnen und Studenten im Ungewissen bleiben, ob und in welcher Form das Staatsexamen stattfinden wird?
2) Das BAG gibt vor, dass die Studentinnen und Studenten durch diese Ausnahmesitua­tion in ihrem beruflichen Fortkommen nicht beeinträchtigt werden. Das mag wohl für diejenigen stimmen, die in einem Spital ihre Stelle antreten werden; für die­jenigen, die ins Ausland gehen oder in die Forschung einsteigen wollen, ist dies klar ein grosses Hindernis (immerhin 180–190 Personen).
3) Hat sich das BAG überlegt, wer solche «Praktikumsplätze» für sechs Wochen anbieten soll, wohl wissend, dass es mindestens ­ein bis zwei Monate braucht, bis eine Praktikantin bzw. ein Praktikant die Abläufe in einem Spital kennt und von Nutzen sein kann? Welche Institution ist bereit, solche Stellen anzubieten? In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Anforderungen an die Personen gestellt werden, die während sechs Wochen diese Evaluation vorzunehmen haben.
4) Hat sich das BAG überlegt, wie der Mehraufwand einer Institution abgegolten wird? Wer zahlt, und wie viel wird bezahlt?
5) Hat sich das BAG überlegt, ob die Kandidatinnen und Kandidaten für ihr Praktikum entschädigt werden und wer haftet, da sie ja offiziell noch nicht diplomierte Ärzte sind?
Zusammenfassend erscheint der Entscheid des BAG deshalb in jeglicher Hinsicht als fragwürdig, unüberlegt, in der Praxis untauglich und ist deshalb unverständlich. Das BAG entscheidet, ohne diejenigen zu berücksichtigen, die von diesem Entscheid direkt betroffen sind oder ihn umsetzen müssen. Weshalb will das BAG die Fakultäten und die jungen Ärztinnen und Ärzte, die in Zukunft nötiger denn je sein werden, vor den Kopf stossen?

Replik auf: 
Staatsexamen in COVID-19-­Zeiten: Praktikum statt praktischer Prüfung

Die Prüfungskommission Humanmedizin hat Ende März dem BAG vorgeschlagen, den praktischen Teil der eidgenössischen Prüfung aufgrund der Covid-19-Krise ersatzlos zu streichen. Dies hätte eine Anpassung des Medizinal­berufegesetzes bedingt, da der Nachweis von «Fertig­keiten und Fähigkeiten sowie über die Verhaltensweisen und sozialen Kompetenzen» [1] im Rahmen der Eidgenössischen Prüfung im MedBG zwingend vorgeschrieben ist.
Eine Gesetzesänderung im Rahmen des Notrechts bedingt sowohl eine sachliche wie zeitliche Dringlichkeit und wird somit nur mit grosser Zurückhaltung vorgenommen. Da die Prüfung erst im September 2020 stattfinden würde, sämtliche auch nicht dringende Eingriffe seit dem 27. April 2020 wieder ohne Einschränkungen möglich sind und die Belastung der Medizinerinnen und Mediziner im Rahmen der Pandemiebewältigung sehr unterschiedlich gewesen ist, erachtete der Bundesrat die Voraussetzungen für die Anwendung von Notrecht vorliegend für nicht gegeben. Da eine ersatzlose Streichung somit nicht möglich war, wurden verschiedene Alternativen in Diskussion mit der Prüfungskommission, mit der MEBEKO und dem SIWF geprüft. Bei der Alternative zur praktischen Prüfung sollte einerseits gewährleistet sein, dass die Patientensicherheit und Versorgung durch das Vorgehen nicht eingeschränkt, anderseits das berufliche Fortkommen der Kandidierenden nicht unnötig behindert werden sollte. Zudem sollte der zusätzliche Aufwand möglichst gering gehalten werden.
Anders als in anderen Jahren werden alle ­Kandidatinnen und Kandidaten unmittelbar nach Bestehen der schriftlichen MC-Prüfung provisorisch [2] ins Medizinalberuferegister eingetragen, was die Weiterbildungsfähigkeit bestätigt und zur Berufsausübung unter fachlicher Aufsicht berechtigt. Von der aktuellen bundesrätlichen Regelung sind fakultäre Masterabschlüsse nicht berührt, welche für Stellen in Industrie und Forschung vorausgesetzt werden. Es sollte somit aufgrund der bundesrätlichen Regelung niemand in seinem beruflichen Fortkommen behindert werden.
Als Ersatz für die CS-Prüfung stehen zwei Alternativen zur Verfügung: Einerseits kann ein Praxisnachweis erbracht werden, welcher im Rahmen einer praktischen Tätigkeit an einer SIWF-anerkannten Weiterbildungsstätte erlangt werden kann. Für die überwiegende Mehrheit der Kandidatinnen und Kandidatinnen (ca. 85 Prozent) bedeutet dies keinerlei Zusatzaufwand, da die Beurteilung im Rahmen ihrer Assistenzarzttätigkeit ohne zusätzliche Beurteilungssequenz vorgenommen werden kann. Es ist davon auszugehen, dass die Weiterbildungsverantwortlichen die «Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie die Verhaltens­weisen und sozialen Kompetenzen» der Assistenzärztinnen und -ärzte zur Ausübung des Berufes beurteilen können. Das IML wird ein Raster zur Verfügung stellen, welches eine rechtsgleiche Beurteilung garantiert. Die Personen, die keinen Facharzttitel anstreben, können (müssen aber nicht) den praktischen Nachweis im Rahmen einer sechswöchigen praktischen Tätigkeit erlangen. Alternativ steht allen die Möglichkeit offen, die CS-Prüfung 2021 zu absolvieren.
Die Covid-19-Krise bedingt viele Kompromisse und Planänderungen. Dass mit der bundesrätlichen Lösung zur Eidgenössischen Prüfung für jeden Fall das Optimum gefunden wurde, wird nicht behauptet. Jedoch kann garantiert werden, dass die Patienten- und Versorgungssicherheit gewährleistet und das berufliche Fortkommen der jungen Medizinerinnen und Mediziner in jedem Fall garantiert ist.