Trotz aufwendiger BAG-Kampagne: Organspendezahlen in der Schweiz sinken

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18955
Bull Med Suisses. 2020;101(2324):749

Publié le 03.06.2020

Trotz aufwendiger BAG-Kampagne: Organspendezahlen in der Schweiz sinken

Während in Deutschland die sogenannt postmortalen Organspenden im ersten Quartal 2020 deutlich anstiegen, sind sie in der Schweiz gemäss Quartalszahlen Swisstransplant in den letzten zwölf Monaten im Vergleich zu 2018 um rund 10% zurückgegangen. Nahezu dramatisch ist der Rückgang von 32,5% der Spenden nach Hirntod (DBD, von 126 auf 85 Spenden). DBD-Spenden hatten in der Schweiz in der Vergangenheit jeweils 80–90% aller postmortalen Spenden ausgemacht.
Der Rückgang wurde teilweise durch einen starken Anstieg der in Deutschland verbotenen Spenden nach Herzstillstand (DCD) kompensiert (von 32 auf 58 Spenden). Dieser Anstieg ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass seit 2019 neu auch das Inselspital Bern DCD-Spenden durchführt. Ohne diese zusätzlichen Spenden wäre der Rückgang des Totals der Spender noch viel deutlicher ausgefallen.
Auf unsere Anfrage an Dr. Immer, CEO Swisstransplant, wie der starke Rückgang der DBD-Spenden zu erklären sei, antwortete Swisstransplant: «Die Zahlen unterliegen Schwankungen. Die Ablehnungsrate beträgt rund 60%, dies entspricht hochgerechnet 80–126 Spendern pro Jahr.» (Anmerkung: Entsprechend den Angaben in den Quartalsberichten ist anzunehmen, dass die Ablehnungsrate durch die Angehörigen gemeint ist.)
Offenbar ist Swisstransplant der Ansicht, dass der Rückgang auf wechselnde Ablehnungs­raten zurückzuführen sei. Aus dem SwissPOD Standard Reporting des ersten Halbjahrs 2019 ist aber zu entnehmen, dass die Ablehnungsrate im Vergleich zum Vorhalbjahr sogar leicht gesunken ist. Mit dieser Begründung kann der Rückgang nicht erklärt werden.
Aus dem genannten Bericht geht auch hervor, dass seit diesem Halbjahr auf den Intensivstationen der sechs Schweizer Transplantationszentren plötzlich weniger potentielle Spender (Patienten mit Verdacht auf Erfüllung der Hirntodkriterien) registriert wurden, obwohl die Anzahl Todesfälle aufgrund neurologischer Pathologien (wie Schädel-Hirn-Traumata, Hirnschläge) im Vergleich zum Vorhalbjahr gleich geblieben ist.
Auf Basis der vorliegenden Daten ist es nicht möglich, den Grund für den Rückgang der potentiellen Spender und in der Folge der DBD-Spender zu eruieren. Grundsätzlich aber gibt es zwei Möglichkeiten für den Rückgang: Entwe­der es gab effektiv weniger potentielle Spender auf den Intensivstationen, oder sie wurden nicht erkannt.
Sollte es effektiv weniger potentielle Spender gegeben haben, müsste sich das Patientenkollektiv plötzlich deutlich verändert haben. Es müssten gleich viele Patienten an neurologischen Pathologien verstorben sein, aber weniger mit Verdacht auf Erfüllung der Hirntodkriterien.
Könnte der starke Rückgang der DBD-Spenderzahlen erfolgt sein, weil Ärztinnen und Ärzte weniger Patienten als potentielle Spender ermitteln? Könnte ein Umdenken, beziehungsweise die Infragestellung des möglicherweise nur vermeintlich breit akzeptierten Hirntodkonzeptes in der Ärzteschaft, eine solch­e Veränderung verursacht haben? Ist es nur Zufall, dass unmittelbar vor Einbruch der Spenderzahlen unsere Organspende-kritische Arbeit [1] in der Schweizerischen Ärztezeitung publiziert worden war?
Dieser Lesebrief ist eine Kurzfassung. Die vollständige Arbeit finden Sie auf www.aepol.net unter «Aktuell».
1 Frei A, Aemissegger U, Beerli A, Sicher M, Stoffel G. Organspende am Lebensende. Schweiz Ärzteztg. 2019;100(14):508–10.