Corona und die Kosten

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18937
Bull Med Suisses. 2020;101(2324):747

Publié le 03.06.2020

Corona und die Kosten

Jede Kostenrechnung im Zusammenhang mit Menschenleben ist tabubehaftet. Wem soll es erlaubt sein, sich hierüber Gedanken zu machen? Nun, wir Hausärzte kennen uns aus mit WZW (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit), und gleichzeitig gehören wir zu den wenigen Spezialisten für das Sterben, die erfahren dürfen, dass Sterben nicht nur eine Niederlage, sondern auch das Ende eines erfüllten Lebensweges bedeuten kann. Und deshalb wage ich es, die Augen angesichts der Kosten der COVID-19-Bekämfpung nicht zu verschliessen.
Ich werde die Analyse in 2 Extremvarianten durchführen: A) die günstige und B) die teure. Vielleicht liegt die Wahrheit dann irgendwo dazwischen.
Zuerst die Kosten: Seco prognostiziert 170 Milliarden möglichen Ausfall allein für 2020. Wie viel dann in den folgenden Jahren lokale und weltweite Rezession noch dazukommt, muss ich unberücksichtigt lassen.
Was wäre passiert ohne Lockdown?
A) Günstige Variante: Wir nehmen eine tiefe aktuelle Durseuchungsrate von 5% an (offiziell wird mit 10% gerechnet). Bei 70% besteht Herdenimmunität. 5% Immunität bis dato entspre­chen 1700 Todesfällen, bei 70% also 14× 1700 = ca. 24 000 Todesfälle durch Corona, so dass wir 22 300 Menschenleben gerettet haben. Diese Menschen sind im Schnitt 84 Jahre alt. Ein 84-jähriger gesunder Mensch hat im Schnitt noch 10 Lebensjahre vor sich. 80% der über 80-Jährigen haben einen gutartigen Coronaverlauf. Die weiteren 20% mit schwerem bis tödlichem Verlauf sind nicht nur alt, sondern auch schwer krank. Diese haben auch ohne Corona im Durchschnitt keine 10, sondern nur noch 3 Lebensjahre vor sich.
Somit hätten wir 22 300× 3 Lebensjahre gerettet, also 66 900 Lebensjahre für 170 Milliarden sFr., oder 2,5 Millionen pro Lebensjahr eines im Schnitt 84-jährigen Menschen.
B) Teure Variante: Die Durchseuchungsrate ist bereits höher, 10%, genau wie die offizielle Schätzung. Damit fehlt bis zur Herdenimmunität mit 70% nur der Faktor 7: Es würden somit 7× 1700 = 11 900 Menschen sterben, und die Lockdown-Massnahmen hätten 10 200 Menschnleben gerettet. Diese Menschenleben sind aber nicht durchschnittlich um 3 Jahre verlängert worden wie in Annahme A, sondern wie in Variante B: Da es wirklich v.a. sehr kranke Menschen sind, die gerettet wurden, werden diese im Schnitt bereits nach 1 Jahr statt wie in Variante A nach 3 Jahren sterben. Somit liegt die Zahl der geretteten Lebensjahre nicht bei 3× 22 300 = 66 900, sondern bei 1× 10 200 = 10 200.
10 200 Lebensjahre totkranker Menschen, von denen viele nun weiter leiden, bis ein anderer Tod sie erlöst, und das alles für sFr. 170 Milliarden, das bedeutet 16 Millionen pro «gewonnenes» Lebensjahr. Ein stolzer Preis. Die Geretteten bezahlen den Preis, indem sie weiter leiden, und unsere Jugend bezahlt den Preis in Form von Armut in der Zukunft. Das, was hier geschieht, kann mein in Rappen kalibriertes WZW-geeichtes Grundversorgergehirn kaum fassen.
Liebe Leser, intuitiv werden Sie einwenden: Ja, aber die Jungen, bei denen werden doch viele Lebensjahre gerettet. Leider trügt dies, denn die Jungen, die an COVID sterben, sind wirklich schwer krank. Und die Gefahr, wirklich gesund an COVID-19 zu sterben, ist viel, viel kleiner als die Gefahr eines tödlichen Verkehrsunfalles. Und diese Einzelfälle machen auf 10 200 Lebensjahre (resp. 66 900 bei Variante A) nicht viel aus. Und wenn Sie zweifeln, nehmen Sie doch ihre eigenen Zahlen und rechnen selbst! Die einzige Chance für den Seelenfrieden ist: nicht zu rechnen!