Covid-19-Pandemie: zu den Richtlinien der SGI/SAMW

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18859
Bull Med Suisses. 2020;101(1718):580

Publié le 22.04.2020

Covid-19-Pandemie: zu den ­Richtlinien der SGI/SAMW

Triage von intensivmedizinischen Behandlungen bei Ressourcenknappheit aus onkologischer Sicht

Ich möchte mich bedanken für die Publikation der sehr notwendigen und gut ausgelegten Richtlinien [1].
Als Onkologe und Behandler zahlreicher ­Patienten im palliativen Kontext möchte ich dennoch wichtige Anmerkungen anbringen bzgl. Punkt 4 (Triageentscheidungen), insbesondere der initialen Triageentscheidungen und der Kriterien für die Aufnahme auf die Intensivstationen (Schritt 2).
Zudem möchte ich die multidisziplinäre ­Entscheidungsfindung bereits bei der Triage für die Intensivstationen, aber auch im Verlaufe einer intensivmedizinischen Behandlung hervorheben. Die onkologischen und ­hämato-onkologischen Erkrankungen sind zu komplex und vor allem bzgl. Prognoseeinschätzung zu variabel, um ohne entsprechende Expertise durchgeführt zu werden.
In den Richtlinien (Kriterien für die Aufnahme auf Intensivstationen, Schritt 2) wird Bezug genommen auf eine Publikation aus dem Jahre 2006 [2]. Als Nichtaufnahmekriterium wird dort die metastasierte onkologische Erkrankung genannt. Hier gilt es, meines Erachtens, weiter zu differenzieren aus verschiedenen Gründen:
Der Hauptgrund ist vor allem die weite Pro­gnosespanne bei formal metastasierter onkologischer Erkrankung, welche von Kuration (im Sinne «wirklicher» Kuration, lang andauernder Krankheitskontrolle oder Krankheitsfreiheit) bis zum raschen Ableben des Patienten reichen kann.
Ein weiterer Grund ist, dass die hämato-onkologischen Erkrankungen nicht differenziert betrachtet werden, mit all ihren prognostischen und prädiktiven Variablen (Low grade- Lymphome, Hochdosistherapien etc.). Zudem ist der Begriff der metastasierten Erkrankung in diesem Kontext nicht mehr adäquat.
Zudem haben sich die Therapiemöglichkeiten für viele Tumorerkrankungen in den letzten Jahren wesentlich verändert. Vor allem mit der Anwendung neuer Immuntherapien und zielgerichteter Therapien kann sich die Pro­gnose nicht nur wesentlich ändern, sondern auch derjenigen der Normalbevölkerung angleichen. Vor allem die Checkpoint-Inhibitoren sind da zu nennen, welche seit 2008 zu­gelassen wurden und in Guidelines nicht berücksichtigt wurden und aktuell noch werden, da Langjahresdaten erst in den letzten Jahren und Monaten publiziert wurden. Viele Studien weisen Plateaus in den Überlebenskurven nach, was einer lang andauernden Krankheitskontrolle gleichkommt.
Neue Krankheitsdefinitionen fanden Eingang in die Behandlung von Patienten mit meta­stasierten onkologischen Erkrankungen, wie die oligo-metastasierten Erkrankungen. Wenn auch nicht unumstritten, fanden und finden diese immer mehr Berücksichtigung in den Guidelines der Fachgesellschaften. Trotz metastasierter Erkrankung kann eine lang andauernde Krankheitsfreiheit und -kontrolle erreicht werden, mittels direkter Behandlung von Metastasen.
Die genannten Beispiele und Gründe erzwingen eine rasche, aber auch kompetente Triage onkologischer und hämato-onkologischer Patienten bereits vor/bei Eintritt in die Intensivstationen mittels multidisziplinären Austauschs, welcher die fachspezifische Expertise des Onkologen/Hämatologen miteinbeziehen muss.
Ich bitte daher die entsprechenden ärztlichen, onkologischen Fachgesellschaften (SGMO, SGH), mit der SGI und SAMW eine entsprechend differenziertere Richtlinie für onkologische Patienten zu erarbeiten oder diese anzupassen.