Die fehlenden Medikamente sind zu billig

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18524
Bull Med Suisses. 2020;101(0102):19

Publié le 08.01.2020

Die fehlenden Medikamente 
sind zu billig

In der NZZ vom 9. Dezember 2019 werden die Ursachen gesucht für die 550 fehlenden Arzneimittel. Die Journalistin und Wissenschaftlerin Stephanie Lahrtz stellt in ihrem sorg­fältig gemachten Artikel fest: Die Wirkstoffe werden heutzutage in Fernost, meist in Indien und China, hergestellt. Gemäss den Gesetzmässigkeiten des freien Marktes wird der Wirkstoff nicht mehr kontinuierlich vom gleichen Hersteller produziert. Der Wirkstoff wird dort eingekauft, wo der Herstellungspreis am günstigsten ist. Da die konstante ­Gewährleistung eines chemischen Medikamentenwirkstoffes ein sehr komplexes Verfahren ist, kommt es zu Qualitätsproblemen. Die knapp werdenden Wirkstoffe werden an diejenige Pharmafirma verkauft, welche mehr zahlt.
Vor bald 15 Jahren habe ich meine ländliche Arztpraxis im Thurgau übernommen. In den ersten Jahren hatte ich nie Nachschubpro­bleme. Damals kosteten die drei häufigsten Medikamente, ein moderner Blutdrucksenker, ein Cholesterinsenker und ein Magensäurehemmer, alle CHF 240 für die 100er ­Schachtel. Heute kostet das gleiche Produkt, generisch hergestellt, noch rund CHF 55. Diese bereits sehr tiefen und günstigen Preise, wovon ein Grossteil der Bevölkerung profitiert, sind dem BAG und den Krankenkassen immer noch zu hoch. Sie fordern weitere Preissenkungsrunden. Da muss man sich nicht wundern, wenn keine fairen Preise mehr für eine gute Qualität bezahlt werden, da sich die Pharmaindustrie um diese sehr geringen Margen nicht mehr kümmert. Beispiele gefällig? Vor 20 Jahren kostete Ventolin, das wichtigste Asthmapräparat, CHF 45. Heute kostet ein solcher Spray noch CHF 8.75. Schmerzmittel, Dafalgan 500 mg, 16 Stück, kostet CHF 2.55. Die Fieberzäpfchen vom gleichen Hersteller kosten gar nur CHF 1.95–2.45, je nach Dosierung. Dies ist ein absoluter Hohnpreis. Der Kauf von jeder Schachtel dieser Billigpräparate ist eine reine Dienstleistung von Apotheken und Drogerien. Rechnerisch ist es jedes Mal ein Verlustgeschäft. Eine schallende Ohrfeige für die Apothekerhelferinnen, welche die Kunden kompetent beraten. Für die kleine Schweiz mit ihrem kleinen Markt sind hohe Qualitäts­ansprüche gefordert. Primär sind einmal die Zulassungsgebühren für jedes Land separat zu entrichten. Speziell muss alleine der Packungs­prospekt dreisprachig produziert werden, dies verdreifacht die Papiermenge. Der Prospekt muss dann noch so raffiniert gefaltet werden, dass er trotzdem in der Schachtel Platz findet. Verständlich, dass da unsere einsprachigen Nachbarländer oder noch weit grössere Staaten zuerst bedient werden. Die Schweiz kann für diese schäbigen Preise hinten anstehen. Die «Geiz ist geil»-Mentalität hat eben auch ihre Schattenseiten. Es ist höchste Zeit, dass dies alle Preisgestalter und andere krankhafte Sparfüchse einmal zu Kenntnis nehmen.