Cauto criminalis

Horizonte
Édition
2020/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18403
Bull Med Suisses. 2020;101(10):353

Affiliations
Dr. med.

Publié le 03.03.2020

Mit seinem Buch Cautio criminalis, Vorbehalt oder Buch über die Prozesse gegen Hexen kritisierte der Jesuit Friedrich Spee 1631 die Praxis der Hexenprozesse. Eine mutige Tat, die entscheidend zum Ende dieser verbreiteten Praxis beitrug. Ein protestantischer Feldprediger widmete seine deutsche Übersetzung der Königin Christina von Schweden, die bereits 1649 die Einstellung von Hexenprozessen verfügte. Die Verfolgungen erreichten im frühen 17. Jahrhundert einen Höhepunkt, inspiriert vom frauenfeindlichen Machwerk eines Inquisitors, dessen Hexenhammer ab 1487 die Verfolgungen enorm verschärfte. Ein brutaler Leitfaden, dessen Klischees bis heute die Vorstellung einer Frau, die nachts auf einem Besen durch die Luft reitet, geprägt hat. Friedrich Spee kannte das Problem aus eigener Erfahrung. Mit den körperlichen Qualen der Folter, Bäche von Tränen, wie er schrieb, könne man jeden Menschen zu jedem beliebigen Geständnis zwingen: «sie geben alles zu, was man von ihnen verlangt … und die Kriminalrichter glauben dann diese Possen und bestärken sich in ihrem Tun. Ich aber verlache diese Einfältigkeit.» Mit scharfsinnigen Argumenten und kluger Rhetorik verlangte er die Abschaffung.
1782 gestand Anna Göldin unter der Folter, das Töchterchen der Arztfamilie Dr. med. Johann Jakob Tschudi verhext zu haben. Die Schriftstellerin Eveline Hasler hat diesen Fall in ihrem Roman Anna Göldin. Letzte Hexe eindrück­lich beschrieben. Dass Glarus zum Gespött alle­r Gebildeten wurde, hatte unmittelbar keine Folgen. Denn weniger bekannt ist, dass sich einige Jahre später, wieder in Glarus, ein ähnlicher Hexenprozess ereignete. Die als Hexe verdächtigte Elsbeth Bösch wurde eingesperrt und stürzte sich nachts, verzweifelt wegen der drohenden Folter, aus dem Fenster auf die Strasse. Wenig später starb sie an ihren inneren Verletzungen.
Die UN-Antifolterkonvention von 1984 verbietet die Folter. Die Schweiz hat die Konvention ratifiziert, aber nie umgesetzt. Weder Folter noch Misshandlung von Gefan­genen sind in der Schweiz ein Straftatbestand. Meist wird Polizeibeamten bei Misshandlungen die Immunität gewährt, was mehrfach von Seiten der UN zu Mahnungen führte. 2002 entfachte der Daschner-Prozess in Deutschland heftige Debatten. Der stellvertretende Polizeipräsident Frankfurts hatte einem geständigen Häftling Gewalt angedroht, wenn er das Versteck des Entführungsopfers nicht verrate. Der entführ­te Knabe wurde bereits ermordet auf­gefunden. Darf der Staat in einer Extremsituation Gewalt anwenden (Rettungsfolter)? 2001 war es in den USA zu einem moralischen Dammbruch ge­kommen. Vermutliche Terroristen wurden im Auftrag der CIA in Folterländern verhört oder mit Waterboarding, einem simulierten Ertrinken, gefoltert. Was Bush einführte, hat Obama 2009 wieder abgeschafft. Nachträgliche Untersuchungen bestätigen immer wieder, dass Foltermethoden nur sehr selten zu brauchbaren Ergebnissen führen, die man nicht mit rechtstaatlichen Mitteln ebenso hätte erreichen können. Foltern ist bequem, weil es schnell zu angeblichen Resultaten führt. Laut Amnesty International wird in über 140 Ländern regelmässig gefoltert oder misshandelt.
Überlebende Opfer leiden lebenslänglich. Das Schweizerische Rote Kreuz betreibt ein ambulantes Therapiezentrum für Folter- und Kriegsopfer in Bern, mit weiteren Einrichtungen in Genf, Lausanne, Zürich und St. Gallen (www.torturevictims.ch).
Friedrich Spee (1591–1635) war bekannt als barocker Lyriker. Seine geistlichen Lieder finden sich bis heute in den Gesangbüchern beider Konfessionen. Ein aufgeklärter Geist, dem auch nach mehreren erfolglosen Anläufen zur Seligsprechung eine ebenbürtige, offizielle Anerkennung durch die römische Kirche versagt blieb. Vielleicht ist das Thema der Hexenprozesse zu heikel, vielleicht ist Spee immer noch unserer Zeit voraus.
Epitaph für Friedrich Spee, Bert Gerresheim (1991), an St. Suitbertus, Düsseldorf-Kaiserswerth (Jula2812/Wikipedia).
erhard.taverna[at]saez.ch