Lachspuren

Horizonte
Édition
2020/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18356
Bull Med Suisses. 2020;101(06):187

Affiliations
Dr. med.

Publié le 04.02.2020

Die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen, hat ­einen riesigen Ausstoss von Papier produziert. Dass auch Primaten lachen können, hat schon Charles Darwin beschrieben; dass Ratten kichern, ist erst seit einigen Jahren bekannt. Gemäss Current Biology sind die Tiere kitzlig, besonders am Bauch. Sie lachen im Ultra­schallbereich von 50 Kilohertz. Die neuronalen Wege sind die gleichen wie beim Menschen. Eine Reflex­bewegung, die über den somatosensorischen Kortex ein Belohnungszentrum aktiviert, das Endorphine mit  euphorisierender Wirkung freisetzt. Ob Tier oder Mensch, allen gemeinsam ist, dass Lachen oder Kichern ein Wohlgefühl erzeugt. Die Umgebung muss stimmig sein. Ratten, die mit grellem Licht an­gestrahlt werden, kichern nicht. Lachen als averbales Ausdrucksmittel ist in erster Linie ein soziales Zeichen und hat nur bedingt mit Humor zu tun.
Ratten sind kitzlig und lachen im Ultraschallbereich von 50 Kilohertz (Symbolbild, © Ivan Kmit - Dreamstime.com)
Beim Menschen lacht das ganze Gesicht, Augen, Stirn, und Kinnpartie. Es gibt unendlich viele Nuancen, was schon die Worte, die wir dafür kennen, ausdrücken: ­feixen, grinsen, giggeln, gackern, quieken, grölen, los­prusten, wiehern, schmunzeln usw. Optisch registrieren wir sehr genau die Unterschiede. Echte Freude oder Schadenfreude, Neid, Wut, Hass, Ironie, Spott oder Zweifel. Arglos, naiv, hinterlistig, hämisch oder grausam, die Bandbreite ist enorm. In gebildeten, klerikalen Kreisen galt lachen als unschickliche Entgleisung der Gesichtszüge, eine Manifestation tierischer Instinkte oder gar des Teufels. Jesus habe nie gelacht, so das Argument. Erst Luther befand: «Denn wo der Glauben ist, da ist auch Lachen.» Gemäss Knigge sollten Frauen bis in unsere Zeit sich beim Lachen zurückhalten, am besten nur gedämpft bei verdecktem Mund.
Lachen machte zwei Erfinder sehr reich. Charles Douglas arbeitete als Toningenieur Anfang der 1950er Jahre für das Fernsehen. Er erfand in seiner Freizeit seine laff box, eine umgebaute Schreibmaschine, deren Tasten Endlosbänder steuerte. Eine Orgel mit 320 Lacher-Variationen. Eine Lachkonserve, die über Jahrzehnte für jede Sitcom unentbehrlich war. Douglas ging wohl lachend als Multimillionär in den ­Ruhestand. Viele werden sich noch an den ­Lachsack erinnern. Ein kleines Tonbandgerät, ursprünglich in einer Socke versteckt. Ein wieherndes, hämisches, eher aggressives Lachen, mit der sich jede ernsthafte Versammlung torpedieren liess. Der Scherzartikel von 1968 wurde bis zu 300 Millionen Mal verkauft. Walter Thiele, der auch Nützliches wie die Berliner Luft in Dosen erfand, verdiente ein Vermögen.
Beide Erfindungen verraten viel über die Funktion des Lachens, die sich wohl über mehrere Evolu­tionsstufen entwickelt hat. Es wirkt ansteckend, entlastend und entspannend, es schafft Vertrauen und ist ein Signal von Gruppenzugehörigkeit. Meist sind wir dabei in einer fröhlichen und fried­lichen Verfassung. Jemand, der nur für sich selber lacht, ohne erkennbare Ursache, gilt schnell als verrückt. Lachen kann auch Dominanz bedeuten: «Wenn der Chef lacht, lachen alle mit.» Vorsicht bei Humor in Job- und Karrierebelangen. Frauen und Männer lachen mehr, wenn ein Mann spricht, und weniger, wenn eine Frau spricht. Lachen ist sexy, dazu braucht es keine Pointen. Kontaktanzeigen belegen den hohen Stellenwert von Humor. Männer sollen Frauen zum Lachen bringen. Ohne Mitgefühl können Witze schnell beleidigen. Der französische Philosoph Henri Bergson schrieb in einem berühmten Essay: «Die Komik bedarf einer vorübergehenden Anästhesie des Herzens, um sich voll entfalten zu können. Sie wendet sich an den reinen Intellekt.»
Eine Redensart sagt: «Humor ist, wenn man trotzdem lacht.» Es heisst aber auch: «Wer zuletzt lacht, lacht am besten.»
erhard.taverna[at]saez.ch