Offener Brief an die Transplantationsmediziner

Briefe / Mitteilungen
Édition
2019/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.18508
Bull Med Suisses. 2019;100(5152):1754

Publié le 18.12.2019

Offener Brief an die Transplantationsmediziner

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
Mit der Organtransplantation am Lebensende führen Sie den grösstmöglichen Eingriff durch, der an Menschen vorgenommen wird. Zudem nehmen Sie den Eingriff in einer Zeitspanne – Sterben und Tod – vor, in der sich der Mensch nicht mehr mitteilen kann und er deshalb besonders schutzbedürftig ist. Auch werden Sie von diesen Menschen nie eine Rückmeldung erhalten, ob das, was Sie mit ­ihnen gemacht haben, für diese Menschen auch im Nachhinein in Ordnung war. Eingriffe in dieser Zeitspanne können nach heutigem Wissen für Spender nicht evaluiert werden.
Aus all diesen Gründen müssen diese Eingriffe besonders sorgfältig geprüft und unsere medizinischen Standards bezüglich Auf­klärung, Wissenschaftlichkeit und medizinischer Ethik strikte eingehalten werden.

Aufklärung vor dem Eingriff

Sie als ausführende Operateure haben die Pflicht, die Menschen, denen Sie Organe entnehmen und deren Organe Sie transplantieren wollen, über den Eingriff aufzuklären und ihre Zustimmung einzuholen. Da Sie dies nicht selbst tun können, delegieren Sie diese Aufgabe, wie dies das Gesetz vorsieht. Sie sind aber dafür verantwortlich, dass die Auf­klärung korrekt erfolgt. Spender müssen den Unterschied zwischen einem hirntoten ­Menschen und einer herkömmlichen Leiche kennen. Sie dürfen nicht im Glauben sein, sie seien zum Zeitpunkt der Organentnahme eine kalte Leiche.
So wie das Prozedere zum Erhalt eines Organspendeausweises heute abläuft, können Sie aber nicht sicher sein, dass alle Spender genau gewusst haben, wozu sie ja gesagt haben, dass sie eine informierte Entscheidung gefällt ­haben. Damit kommen Sie ihrer Aufklärungspflicht nicht nach, und es besteht die Mög­lichkeit, dass Sie Organe von Spendern entnehmen, die das so nicht gewollt haben.

Wissenschaftlichkeit des Eingriffs

Offenbar gehen Sie davon aus, dass die Persönlichkeit von hirntoten Menschen erloschen ist und diese Menschen nicht mehr leiden können. Aber für diese Annahme gibt es keine Beweise. Die wissenschaftliche Medizin kann heute keine Aussagen über die Erlebnisfähigkeit von Menschen mit Hirntod und Sterbenden machen. Sie kann Bewusstsein oder das Geistig-Seelische nicht definieren und kennt die neuronalen Mechanismen dahinter nicht. Auch weiss sie nicht, wie sich das unvollständige Sterben der Spender auf die sterbende Person auswirkt und was das Weiterleben eines Teils des Körpers ohne Hirn, verteilt auf fremde Körper, für Spender bedeutet. Es gibt auch keine wissenschaftlichen Belege, dass nur das Sterben des Hirns und nicht auch das Sterben der anderen Organe und des restlichen Körpers für das Sterben des Menschen bedeutsam ist. Sie kennen die Risiken und Nebenwirkungen von Organtransplantationen am Lebensende für Spender nicht.
Die wissenschaftliche Datenlage zu Explan­tation und Transplantation von Organen am ­Lebensende ist ungenügend. Die gemäss ­heutigen medizinisch-wissenschaftlichen Standards geforderten Voraussetzungen zur Durchführung eines operativen Eingriffs werden nicht erfüllt.

Medizinische Ethik

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Sie Menschen am Lebensende durch die Transplantation ihrer Organe schaden. Damit verletzen Sie möglicherweise das ethische Gebot des Nicht-Schadens (Primum nil nocere).
Wir bitten Sie, aus den genannten Gründen keine Organtransplantationen mehr von Menschen am Lebensende durchzuführen. Gegen Lebendspenden hingegen haben wir nichts einzuwenden.
Freundliche Grüsse
Vorstand Verein ÄPOL