Den Tatsachen in die Augen schauen

Klimawandel als Herausforderung für Medizin und Gesundheitswesen

Tribüne
Édition
2019/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.18090
Bull Med Suisses. 2019;100(39):1312-1314

Affiliations
Dr. med., Mitglied wissenschaftliche Kommission, Klima-Grosseltern gpclimat.ch

Publié le 24.09.2019

Über den Klimawandel wird dieser Tage viel diskutiert, doch dessen Einfluss auf die Gesundheit nur selten angesprochen. Der Autor dieses Artikels rückt das Thema in den Vordergrund und fordert unter anderem, das Gesundheitswesen in der Schweiz CO2-neutral zu gestalten.
Der menschengemachte Klimawandel ist Fakt und mit zahlreichen Beiträgen zu unterschiedlichen Themenbereichen seit Jahren in den Medien präsent. Der Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit jedoch findet nur ganz selten Erwähnung. Nicht besser steht es bei der wissenschaftlichen Literatur: Im Jahr 2017 sind gesamthaft 43 000 Publikationen zum Thema ­Klimawandel erschienen; nur gerade 4% wiesen einen Zusammenhang zum Thema Gesundheit auf und marginale <1% (n = 256) befassten sich spezifisch damit [1].

Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit

Die Verbrennung fossiler Brennstoffe setzt das Treib­hausgas CO2 frei und ist damit Hauptmotor von Erwärmung und weiteren Klima-Phänomenen. Gleichzeitig entstehen dabei Luftschadstoffe, über deren gesundheitliche Folgen hier bereits kürzlich ein­gehend berichtet worden ist [2]. Für die Gesundheit relevant sind: extreme Hitzetage, Dürre, Brandkatas­trophen, Hurrikane/Taifune, Überschwemmungen, Murgänge, Felsstürze. Extreme Hitze reduziert in einem ersten Schritt die allgemeine Leistungsfähigkeit (siehe auch kürzlich veröffentlichtes BAG-Merkblatt [3]). Ohne prompte ­Gegenmassnahmen dekompensiert die Temperatur­regulation und es kommt zu Hyperthermie, ZNS-Dysfunktion und Multiorganversagen (Überhitzung – Hitzschläge – Hitzetote [4]). Die Schäden durch die übrigen er­wähnten, aussergewöhnlichen Wetterereignisse können ein solches Ausmass annehmen, dass auch Gesundheitssysteme in reichen Ländern überfordert sind. Als Beispiel dient der Bericht über die verheerenden Waldbrände im November 2018 in Kalifornien, die u.a. zu einem Spitalbrand und chaotischen Zuständen in Verbrennungsabteilungen führten [5]. Als Folge des Klimawandels sinken überdies (trotz Technologieeinsatz) bereits jetzt die Produktivität der Landwirtschaft und wegen Versauerung der Meere die Fischbestände, wodurch Quantität und ­Qualität der Nahrungsmittel­versorgung gefährdet sind. Ebenfalls klimabedingt wandeln sich Spektrum und Auswirkungen Vektor-übertragener Infektionskrankheiten wie z.B. Dengue-Fieber, ZIKA-Virus­infektion, Malaria (und weitere); infolge Unterbrechungen der Trinkwasserversorgung häufen sich zudem Cholera-Epidemien [6].

Risikogruppen

Vulnerabel sind nebst durch chronische Krankheiten geschwächte besonders ältere (>65-jährige) Menschen, was z.B. in der Schweiz die Klima-Seniorinnen zu ihrer aktuell beim Bundes­gericht hängigen Klage gegen den ­Bundesrat veranlasst hat [7]. Ganz speziell gefährdet sind aber auch jüngere und jüngste Menschen: Ein WHO-Bericht legt nahe, dass >88% der ­globalen Gesundheitsschäden <5-jährige Kinder betreffen. In Oregon reichten deshalb Jugendliche Klage gegen die US-Behörden wegen Untätigkeit ein [8]. ­Sozioökonomische Faktoren wie Armut, Zugang zu ­Ressourcen und natürlich, in welcher Weltregion ­jemand lebt, spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausprägung klimabedingter Gesundheitsschäden [1, 6].

Was tun? – 1: Adaptation

Zum Schutz der Bevölkerung werden weltweit Anpassungen an die veränderten und sich weiter wandelnden Bedingungen bereits heute durchgeführt oder sind in Planung. So müssen z.B. Überwachungssysteme und Empfehlungen betreffend Dengue-Fieber und Malaria abgeändert und neue Erreger (ZIKA-Virus) identifiziert werden; Ressourcen zur Bewältigung klima­bedingter Katastrophen werden ausgebaut; Schutzmassnahmen für vulnerable Bevölkerungsgruppen bis hin zu städtebaulichen Massnahmen sind umzusetzen. Dies alles erfolgt national in sehr unterschiedlicher Weise und führt global schätzungsweise zu jähr­lichen Gesamtkosten von 32,65 Mia. GBP [1].

Was tun? – 2: Klimaschutz

Je rascher und vollständiger die Dekarbonisierung gelingt, desto grösser wird der Gewinn für Gesundheit und Gesundheitssysteme. Damit werden die künftige, weitere Klimaerwärmung und ihre medizinischen Folgeerscheinungen gebremst. Vor allem aber wird die Luftverschmutzung rasch und massiv reduziert, wodurch sehr bald jährlich 6,5–10 Millionen vorzeitige Todesfälle vermieden werden können [6]. Von den allseits bekannten, weiteren Massnahmen gegen die Klima­erwärmung sind einige mit zusätzlichen Vorteilen für die Gesundheit verbunden: Weitgehend vegetarische Ernährung ist gesund und kann die Treibhausgasemissionen um 20–30% senken [5]. Fremdenergie-unab­hängige Mobilität, d.h. zu Fuss gehen und Velo fahren, fördert ebenfalls die Gesundheit bei gleichzeitiger Senkung der CO2-Emissionen [1].

Der Medizinalsektor als CO2-Emittent und Investor in fossile Energien – Wir könn(t)en entscheidend beitragen

Wir wissen zwar, dass der globale CO2-Ausstoss durch den Medizinalsektor erheblich ist, unsere Kenntnisse darüber sind aber sehr lückenhaft. Für die USA ergeben die aktuellen Berechnungen knapp 10% des nationalen Ausstosses, für Australien 7% [1]. Die australische Studie von 2018 macht Angaben zu CO2-Emissionen in einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens und weist so auf Möglichkeiten der Entwicklung eines CO2-neutralen Gesundheitswesens hin [9]. In Grossbritannien, als einzigem Land mit systematisch, repetitiv erhobenen Messdaten und einem Programm für Massnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen, konnte zwischen 2007 und 2015 eine Reduktion des CO2-Ausstosses um 11% auf aktuell 4% des nationalen Wertes erzielt werden (bei gleichzeitig um 18% gesteigertem Arbeits­anfall) [1]. Die WHO entwickelt gegenwärtig das Programm «Healthy Planet – Healthy Hospitals – Healthy People» [10]. Aus diesem und den weiteren bereits genannten Quellen lassen sich diverse Empfehlungen zur direkten Reduktion der CO2-Emissionen im Gesundheitswesen ableiten: von der nachhaltigen Gestaltung der Gebäude (v.a. Spitäler) über Abfallvermeidung (Medikamente, Nahrungsmittel, Wegwerfartikel/Plastik) zu Verbesserungen im Transportwesen (grüne Ambulanzen, Velo zur Arbeit) bis hin zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit, z.B. durch Propagierung von pflanzlicher Nahrung und Bewegung.
Eine hocheffiziente, indirekte Massnahme zur Senkung von CO2-Emissionen ist die Desinvestition aus fossiler Energie. Von weltweit 428 Milliarden USD, die im Jahr 2017 aus den Fossilen abgezogen wurden, stammten nur gerade 3,28 Milliarden aus Institutionen des Gesundheitswesens. Über die Höhe dieses Betrags in der Schweiz ist nichts bekannt; gemäss Untersuchungen des Bundesamts für Umwelt ergäbe allerdings die aktuelle Art der Investitionen aller Schweizer Pen­sionskassen eine globale Erwärmung um 4–6 °C [11].

Was wollen wir uns leisten? – Nichtstun lohnt sich nicht

Die Transition zu einer «Null-CO2-Ökonomie» mag zwar konzeptionell äusserst schwierig erscheinen, wird aber schon bald grossen Nutzen bringen, und zwar ganz besonders im Gesundheitsbereich. Wie ausgeführt, ist mit einer raschen Abnahme vorzeitiger ­Todesfälle und assoziierter Morbidität infolge Luft­verschmutzung zu rechnen. Zudem wird ein weiterer Anstieg der gegenwärtig infolge Klimaerwärmung jährlich anfallenden Arbeitsausfälle von global 153 Milliarden Stunden mit all ihren ökonomischen Folgen gebremst [1]. Und zwischen 2030 und 2050 können gemäss WHO weltweit jährlich 250 000 Hitzetodesfälle bei ­älteren Menschen vermieden werden [6], um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen. Immer wieder werden die Kosten als Grund gegen den Übergang auf eine Netto-Null-CO2-Energiegewinnung und effiziente Energiesparmassnahmen ins Feld geführt.
Die gegenwärtigen, globalen ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnungen gehen jedoch von einer neutralen, möglicherweise sogar positiven Gesamtbilanz aus, wenn der Faktor klimaabhängige Gesundheit voll einbezogen wird [6]. Wenn wir also jetzt, im Jahr 2019, das richtige Szenario starten mit dem Ziel, die Klima­erwärmung bis 2050 zwischen +1,5 und 2,0 °C zu halten, könnten wir im Endeffekt Kosten sparen.
Die Zeit hierfür wird allerdings knapp! Als Ärztinnen und Ärzte sind wir ungebunden und können uns in Klimafragen voll für das Wohl unserer Patientinnen und Patienten sowie unseres Gesundheitswesens einsetzen: Wir brauchen mit den nötigen Kompetenzen ausgestattete Beauftragte für Nachhaltigkeit in allen Gesundheitsdepartementen, medizinischen Fakul­täten, Krankenkassen, Spitälern, Praxisgemeinschaften. National müssen unsere CO2-Emissionen systematisch evaluiert und ein Reduktionsplan mit dem Ziel CO2-Neutralität des Gesundheitswesens bis 2030 aller­spä­testens 2050 in Gang gesetzt werden. Die im Gesund­heitswesen geäufneten Guthaben, z.B. von Pensionskassen, sollen ab sofort betreffend ihrer Auswirkungen auf CO2-Ausstoss und Klima klassiert und im Sinne der ­Gesundheitsförderung platziert werden.

Das Wichtigste in Kürze

• Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit sind vielfältig, die Transition zu einer «Null-CO2-Ökonomie» würde speziell im Gesundheitsbereich grossen Nutzen bringen.
• Der globale CO2-Ausstoss durch den Medizinalsektor ist erheblich, das derzeit durch die WHO entwickelte Programm «Healthy Planet – Healthy Hospitals – Healthy People» enthält diverse Empfehlungen zur direkten Reduktion der CO2-Emissionen im Gesundheitswesen.
• National müssen CO2-Emissionen systematisch evaluiert und ein Reduktionsplan mit dem Ziel CO2-Neutralität des Gesundheitswesens bis 2030, allerspätestens 2050, in Gang gesetzt werden. Dafür werden mit den nötigen Kompetenzen ausgestattete Beauftragte für Nachhaltigkeit in allen Gesundheitsdepartementen, medizinischen Fakultäten, Krankenkassen, Spitälern, Praxisgemeinschaften gebraucht.
• Ein ökonomisch verträglicher Uebergang zur fossilfreien Energiegewinnung ist möglich, eine entsprechende Investitionspolitik des Medizinalsektors kann dazu beitragen.

L’essentiel en bref

• Les effets du changement climatique sur la santé sont multiples et le passage à une économie «zéro CO2» serait particulièrement bénéfique dans le domaine de la santé.
• Les émissions mondiales de CO2 du secteur médical sont considérables. Le programme «Healthy Planet – Healthy Hospitals – Healthy People» actuellement mis au point par l’OMS contient plusieurs recommandations pour les réduire.
• Au niveau national, les émissions de CO2 doivent être systématiquement évaluées et un plan de réduction visant la neutralité carbone du système de santé en 2030 ou au plus tard en 2050 doit être mis en œuvre. Il faudra donc, dans l’ensemble des départements de santé, facultés de médecine, caisses d’assurance-maladie, hôpitaux et cabinets collectifs, des chargés du développement durable disposant des compétences nécessaires.
• Une transition économiquement supportable vers la production d’énergie entièrement non fossile est possible et une politique d’investissement correspondante dans le secteur médical peut y contribuer.
Dr. med. René Jaccard
rene.rjaccard[at]datacomm.ch
 1 Watts N, Amann M, Arnell N, et al. The 2018 report oft the Lancet Countdown on health and climate change: shaping the health of nations for centuries to come. Lancet. 2018;392:2479–514.
 2 Peters A, Hoffmann B, Brunekreef B, et al. Die Rolle der Luftschadstoffe für die Gesundheit. Schweiz Ärzteztg. 2019;100(23–24):796–9.
 3 BAG-Bulletin 24/2019.
 4 Epstein Y, Yanovich R. Heatstroke. N Engl J Med. 2019;380:2449–59.
 5 Solomon CG, LaRocque RC. Climate Change – A Health Emergency. N Engl J Med. 2019;380:209–11.
 6 Haines A, Ebi K. The Imperative for Climate Action to Protect Health. N Engl J Med. 2019;380:263–73.
 8 Salas RN, Jacobs W, Perera F. The case of Juliana v. US – Children and the Health Burdens of Climate Change. N Engl J Med. 2019;380:2085–7.
 9 www.thelancet.com/planetary-health; Vol 2, January 2018.