Wer stört, muss sich anpassen

Briefe / Mitteilungen
Édition
2019/26
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17994
Bull Med Suisses. 2019;100(26):889

Publié le 25.06.2019

Wer stört, muss sich anpassen

Damit man kein Störfaktor ist, muss man sich auch anpassen (= Semantik)!
Mehr medizinische Eingriffe, Therapiemöglichkeiten, längeres Leben – alles besser? Nein, mehr Gerichtsentscheide! Wie kann die Justiz der Medizin am besten helfen schwarze Schafe zu finden? – Es treffen sich da zwei Welten, zwei Sprachen. Jeder denkt, der andere soll sich doch anpassen. – Der Einmischende sollte sich da mehr angleichen! Der Jurist will ja etwas beurteilen, was er eigentlich a prima vista nicht kennt. Ein Jurist, der einen medizinischen Fall beurteilt, muss ein medizinisches Grundverständnis mitbringen (= Zusatzausbildung). Es gibt juristische Urteile, die im rein medizinischen Anteil weder verständlich noch nachvollziehbar sind (hat nichts mit dem juristischen Teil zu tun!). Dies ist der Schweiz nicht würdig. – Es kann doch nicht sein, dass ich in der Praxis noch eine Zusatzausbildung haben muss, damit ich die «Sprache des Rechtes» verstehe (bis ich die hätte, wäre mein Fall ad acta gelegt).
Meine eigene Rechtschutzversicherung hat sich damals einfach aus dem ganzen Fall zurückgezogen, weil ich ja im Notfalldienst als Notfallarzt im Gefängnis nicht als Privat­person tätig sei ... – Habe ich nicht das Recht wie der Patient, alles über die Therapiemöglichkeiten und deren Nebenwirkungen zu hören?? Ist eine Rechtschutzversicherung nicht dazu verpflichtet zu klären, was nicht gedeckt ist in meiner Tätigkeit? Ich fragte damals den Kanton: «Im Gefängnis als Notfallarzt bin ich ein Beamter, keine Privatperson. Wo ist meine Versicherung?» Der Kanton selber hat sich noch nie mit dieser Frage befasst gehabt! – Der Justiz ist es egal! – Oder hat hier die Justiz ihre Hausaufgaben gemacht? Klären Sie mich auf!
Ich habe die kantonale Behörde auch aufmerksam gemacht, dass man nicht einfach ­einem Arzt mitten in die Sprechstunde anrufen kann, um ihm mitzuteilen, dass ein Strafverfahren gegen ihn aufgenommen wird. Die kantonale Antwort der Justiz: «Nicht möglich». Wenn schon kantonal dieses Grundverständnis fehlt und Starrköpfigkeit herrscht, dann wird sich wohl nicht so schnell etwas ändern, auch wenn es schon längst passiert sein müsste. Es kann doch keinem Piloten, keinem Fernfahrer während der Arbeit an­gerufen werden und eine solche Mitteilung gemacht werden! Guter Weiterflug oder schöne Weiterfahrt!
Die Rechtsmedizin ist ja sehr nahe an der Justiz. Diese hat sich sehr wohl an die Justiz angepasst. Das rechtsmedizinische Gutachten war einfach «eine Schwarz-Weiss-Malerei»! So geht es nicht! Ein zweites Gutachten fand zu 100% eine andere Todesursache. Man kann nicht zu 200% sterben, meine ich!
Wenn die Justiz kein Störfaktor sein will, dann muss sie mindestens proaktiv sein! Sie ist verpflichtet, bei sekundärer Prävention (Problem ist erkannt, gleiches Problem soll nicht mehr auftreten) ihre Hausaufgaben zu machen (Beispiele sehen Sie oben!). Proaktiv würde aber vielmehr heissen, dass primäre Prävention das Wichtigste ist.
Ihr Beispiel mit den Sportverbänden im EU-Fall zeigt ähnliche Probleme. Vielleicht sollte sich die Justiz mit der Ethik befassen. Wie verbessern wir die Gesellschaft? Habe ich alle Sichtweisen verstanden – oder verstecke ich mich hinter Gesetzesartikeln?
Die Justiz muss auch für die Medizin Spe­zialisten haben; Fachspezialisten, die nicht nur Erfahrung in der «Medizinjustiz» haben, sondern auch Grundsätze des Gegenübers verstehen. Primär soll das Ziel sein, etwas zu verbessern und nicht blind zu strafen.