Persönliche Stellungnahme zu den Swiss-Medical-Board- und Medienberichten

Roboterassistierte Prostatektomie - eine Auslegeordnung

Tribüne
Édition
2019/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17987
Bull Med Suisses. 2019;100(3132):1037-1039

Affiliations
Prof. Dr. med., Senior Consultant Urologische Klinik und Prostatazentrum Aarau

Publié le 31.07.2019

Da das Thema roboterassistierte laparoskopische Prostatektomie sowohl vom Swiss Medical Board als auch von den Medien zuletzt aus diversen Sichtweisen ­behandelt wurde, sei es einem Urologen, der seit 1993 offene radikale Prostat­ektomien (ORP) als auch seit 2006 roboterassistierte laparoskopische Prostatektomien in hoher Anzahl durchgeführt hat, erlaubt, die verschiedenen Aussagen und die Schwierigkeiten ihrer Herleitung näher zu beleuchten.
Das Swiss Medical Board (SMB) kommt zum Schluss, dass es nur eine bedingte Empfehlung für die roboter-assistierte laparoskopische Prostatektomie (RALP) ­geben kann, dahingehend, dass Patienten kurzfristig nach der Operation profitieren könnten, langfristig aber keine Unterschiede zum offenen Vorgehen bestünden und das Verfahren zudem kostenaufwendiger sei.
Die Empfehlungen dieses unabhängigen Gremiums beruhen unter anderem auf vier widersprüchlichen, teils zweifelhaften Metaanalysen [1–4] und im Wesentlichen auf einer Cochrane-Analyse von Ilic [5]. Dort werden v.a. die zwei einzigen prospektiv randomisierten Studien aus dem Jahre 2006 [6] in Italien und 2016 [7] in Australien von insgesamt nur n = 428 Patienten zugrunde gelegt. Darin sind leider auch noch fälsch­licherweise n = 120 Patienten enthalten, die sich nicht einer RALP, sondern lediglich einer konventionell laparoskopischen Operation unterzogen hatten und somit nicht zur gestellten Frage RALP herangezogen werden dürfen [6]. Es verbleiben somit nur n = 308 Patienten aus der australischen Studie von Yaxley [7]. Diese 308 Pa­tienten wurden in den Medien als Schlüsselstudie vielfach zitiert. Dies ist, bei alleine im Jahr 2017 weltweit ­betriebenen n  =  4271 Da-Vinci-Robotersystemen, eine verschwindend geringe Anzahl und mag die Fest­stellung erlauben, wie ausgesprochen schwierig es für unabhängige und fachfremde Gremien ist, sinnvolle bzw. wegweisende Empfehlungen für gesundheitspolitische Ausrichtungen zu erstellen, auch wenn sie den Kontakt zu Fachvertretern suchen sollten. Natürlich wird der Ruf nach frühen initialen multizentrischen prospektiv randomisierten Studien zur Klärung der RALP-Rolle teils berechtigterweise laut, man bedenke aber bitte auch, dass ein neues Verfahren sich ebenfalls in der Entwicklung befindet und die Frage des Zeitpunktes einer Vergleichsstudienbetrachtung nicht einfach ist. Nichtsdestotrotz ist das Fehlen zu bemängeln.

Fundamentale interne Qualitätsfehler der Schlüsselstudie

Die oben genannte «Schlüssel»-Arbeit von Yaxley aus dem Brisbane Hospital [7] findet keine relevanten Unterschiede zwischen der offenen und RALP. Obwohl sie den äusseren Qualitätskriterien einer prospektiv randomisierten Studie entspricht, darf sie jedoch wegen fundamentaler interner Qualitätsfehler nicht zum Vergleich ORP und RALP herangezogen werden.

Punkt 1: Innenansicht der zugrunde liegenden Studienqualität von entscheidender Bedeutung

Die beiden Operateure Coughlin (für ORP) und Yaxley (für RALP) brachten unterschiedliche, nicht ver­gleichbare Operationserfahrungen mit (1500 versus 200 Fälle). Diesbezüglich schreibt dann auch der associated Editor des British Journal of Urology International, D. Murphy, 2016 in einem Kommentar: Die einzig zulässige Schlussfolgerung der Publikation sei: «… a much less experienced surgeon can actually deliver equivalent functional and oncological outcomes to a much experienced surgeon, by adopting a robotic ­approach…»

Punkt 2: Keine State-of-the-art-Performance

Zudem handelte es sich sowohl im offenen als auch im ­roboterassistierten Arm um eher «unterdurchschnittliche» Operateure. Der Blutverlust liegt mit 1,338 bzw. 0,443 l zwar eindeutig zugunsten des Roboteruro­logen, aber trotzdem gehört selbst dieser mit seiner Qualifikation zu den schlechtesten 15% eines high ­volume centers [8]. Sein erhöhter Blutverlust von 0,443 l bedeutete eine zumindest teilweise Unübersichtlichkeit im Operationsfeld, sodass die Ergebnisse der RALP wie Frühkontinenz bzw. die Einjahrespotenz um 15 bzw. 20% schlechter zu erwarten sind als bei ­mittelmässig bis sehr guten RALP-Operateuren [8]. Beide Arme der australischen Studie repräsentieren damit nicht den State of the Art der Verfahren und ­dürfen nicht als repräsentativer Vergleich herangezogen werden.

Punkt 3: Kaschierung der erhöhten Blutverluste beim offenen Verfahren

Noch gravierender ist aber, dass der unüblich hohe Blutverlust des offenen Vorgehens (1,3 l) durch die intra­operative Benutzung von onkologisch äusserst fragwürdigen Cell Savern kaschiert wird, die das verlorene Blut in den Kreislauf zurückführen. Es resultiert eine gleich niedrige Transfusionsrate von 0% wie bei der RALP und somit kein Unterschied der Verfahren, was schlechthin eine Irreführung ist. Ein Faktum, dessen Analyse für das SMB schwer zugänglich ist.

Punkt 4: Eingeschränkte Studiendetails

Ausserdem war die Studie vonseiten der Teilnehmer­anzahl und der statistischen Power her nur darauf ausgelegt (n = 151 vs. n = 157), die gesundheitsbezogenen Fragen der Quality of life nach 24 Monaten zu beantworten, nicht aber frühere Ergebnisse über Potenz und Kontinenz zu beurteilen. Als Nebenbemerkung sei erwähnt, dass die ORP nach 24 Monaten stat. signifikant mehr biochemische Tumorrezidive auswies als die RALP in einer Analyse von 2018 [9]. Aber auch diese Aussage ist nicht zu verwerten, da keine Informationen zu den Salvage Therapien beider Gruppen vorliegen.

Punkt 5: Fehlende volkswirtschaftliche ­Betrachtung

Die Studie kann auch den volkswirtschaftlichen ­Nutzen der RALP nicht dokumentieren, da die Zeitspanne bis zum Wiedereintritt in den Arbeitsprozess mit 47 bzw. 42 Tagen in beiden Gruppen ähnlich ist. Letztere ist insbesondere für die RALP aussergewöhnlich lang, finden sich doch in der Regel Unterschiede zwischen 13 und 36 Tagen zugunsten der RALP [10, 11]. Gerade der frühere Arbeitseintritt ist bei der Gesamtkostenanalyse volkswirtschaftlich einzubeziehen, was das SMB nicht berücksichtigt hat. Interessanterweise ist er zudem bei Selbständigen kürzer als bei Angestellten.

Ein Verfahren allein macht noch keinen Meister

Zusammenfassend verzerren die Ergebnisse des selbst vom Cochran-Autor Ilic als «Tertiär Center» eingeschätzten australischen Brisbane Hospitals trotz pro­spektiv randomisiertem Studiendesign eine Bewertung durch das SMB oder die Medien, da es wegen fehlender state of the art performance der Prostatektomien diese nicht wirklich widerspiegelt.
Es stellt sich die Frage, warum die aussagekräftige grösste prospektive, jedoch nicht randomisierte schwedische LAPPRO-Studie mit 2625 Patienten aus sieben offenen Zentren (n  =  778) und sieben Roboterzentren (n  =  1847) vom SMB bei der Erstellung ihres Meinungsbildes nicht mit herangezogen wird [10–12]. Hier ist der Roboter bei Low-grade- und Intermediate-grade-Karzinomen der offenen Methode überlegen punkto frühen und langfristigen Potenzerhalts. Bei aggressiven Tumoren ist der Potenzerhalt jedoch nicht besser, da das Robotervorgehen hier eher mehr Radikalität ermöglicht. Das entscheidendste Fazit der Autoren und damit die intraoperative Fähigkeit der filigranen Roboter­chirurgie beschreibend, lautet:
«RALP facilitates easier identification of potency nerves (more successful intrafascial preparation) as well as ­wider dissection in pT3», was ich als langjährige «intraper­­sonelle Vergleichsperson» beider Verfahren unterstützen kann. Die RALP lässt eine differenzierte schonendere OP-Technik insbesondere in engen räumlichen Verhältnissen zu. Dies äussert sich in einer verbesserten Potenzrate und zudem in einer möglichen geringeren Anzahl von sekundären «Penisverkürzungen» nach RALP [13]. Zwar macht ein Verfahren alleine noch keinen Meister. Die langfristig erworbene Qualität des Operateurs, ob offen oder roboterchirurgisch erlangt, und nicht sein aktueller Case Load ist der entscheidendere Faktor, aber die Optionen mittels RALP sind differenzierter und in Zukunft leichter zu erweitern.

Unterschiedlich steile Lernkurven

Last but not least ist ein zusätzlicher Gedanke erlaubt. Die Lernkurve für Auszubildende bei der RALP ist kürzer, da sie beispielsweise als Assistenten einen stetigen Einblick über Monitore in den Operationsablauf haben im Vergleich zur ORP. Sie sind dadurch früher befähigt, in den Eingriff eingeführt zu werden. Nicht zu vergessen ist, dass wir in Zukunft eine grössere Anzahl von ausgebildeten Operateuren benötigen, die im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels hin zur Work Life ­Balance und der meines Erachtens viel zu überregulierten europäischen Arbeitszeitnormen notwendig werden.
Die RALP hat das Potenzial zur Fortentwicklung z.B. durch virtuelle Bildüberlagerungen etc. Ausserdem sollte der vermehrte Kostenaufwand von ca. 2000–4000 CHF pro Patient mit der geringeren Rehospitalisationrate und der früheren Arbeitsfähigkeit volkswirtschaftlich gegengerechnet werden. Die grösste Krux ist zurzeit das Monopol des Da-Vinci-Systems (Intuitive Companie), das die Anschaffungs-, Unterhalts-und Instrumentenpreise des Roboters noch diktieren kann. Die Patente werden aber sukzessive auslaufen und neue Systeme stehen in den Startlöchern. Die RALP befähigt schneller zu subtilerer und schonenderer OP Technik. Bei ihrer Beurteilung gehören neben dem Ausschluss von insuffizienten Studien Daten auch gesamtvolkswirtschaftliche Betrachtungen mit einbezogen. Ohne dies zu berücksichtigen ist das Statement des SMB nicht nachzuvollziehen. Die Roboter-assistierte Chirurgie steht nach Meinung des Autors am ­Anfang ihrer Entwicklung.
Prof. Dr. med. Franz Recker
Senior Consultant
Urologische Klinik und Prostatazentrum
CH-5000 Aarau
Franz.Recker[at]ksa.ch
 1 Ficcara V, Novara G, Ahlering TE, Tewari AK, Montorsi F. Systematic Review and Metaanalysis of Studies Reporting Potency Rates After Robotic-assisted Radical Prostatectomy. Eur Urol. Sept 2012;62:418–30.
 2 Cooperberg MR, Ramakrishna NR, Duff SB, Tewari AK. Primary treatments for clinically localised prostate cancer: a comprehensive lifetime cost-utility analysis. BJU International. 2013;111:437–50.
 3 Hohwü L, Borre M. A short-term cost-effectiveness study comparing robot-assisted laparoscopic and open retropubic rdical prostatectomy. Journal of Medicine Economics 2011;14,403–9.
 4 Ontaria HTA (2017).Robotic Surgical System for radical Prostatectomy: A health technology assessment. Ont Health Technol Assess Ser. Canada; 2017:1–172.
 5 Evans S, Allan C, Jung J, Murphy D, Frydenbereg M, Ilic D. Laparoscopic and robotic – assisted versus open radical prostatectomy for the treatment of localized prostate cancer. Cochran Database Syst. Rev. Sept 2017.
 6 Gazzoni G, Cestari A, Zanoni M. Intra- and peri-operative outcomes comparing radical retropubic and laparoscopic radical prostatectomy: results from a prospective randomized single – surgeon study. Eur Urol. 2006;50:98:104
 7 Yaxley JW, Coughlin GD, Chambers SK. Robot-assisted laparoscopic versus open radical retropublic prostatectomy: early outcomes from a randomized controlled phase 3 study. Lancet. Sept 2016;10:1057–66.
 8 Preisser F, Pompe RS, Salomon G, Rosenbaum C, Graefen M, Huland H, Tilki D. Impact of the estimated blood loss during prostatectomy on functional outcomes. Urol Oncol. 2019;37:298.
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