Replik auf den Beitrag von Yvik Adler und Stephan Wenger [1]

Warum Psychiater und Psychologen zusammenarbeiten müssen

Weitere Organisationen und Institutionen
Édition
2019/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17905
Bull Med Suisses. 2019;100(21):723

Affiliations
Prof. Dr. med., Präsident der Schweizerischen Vereinigung Psychiatrischer Chefärztinnen und Chefärzte SVPC

Publié le 22.05.2019

Die SVPC nimmt Bezug auf den Artikel [1] der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) in dieser Ausgabe der SÄZ, um einige Aussagen richtigzustellen und andere zu präzisieren. Es ist uns ein Anliegen, aufzuzeigen, dass das von der FSP und anderen Verbänden in ihrer Petition geforderte Anordnungsmodell für die psychologische Psychotherapie zu einem Auseinanderdriften von Psychologen und Psychiatern führen würde. Dies wäre mit einer Fragmentierung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung, einer Qualitätseinbusse sowie einer Ausweitung des Angebots mit entsprechenden Kosten­folgen verbunden.
Psychische Störungen gehören zu den medizinischen Erkrankungen und bedürfen deshalb einer ärztlichen Diagnose und Therapieindikation nach dem bio-psycho-sozialen Modell. Dies umfasst nicht nur das Er­kennen und den Ausschluss somatischer und pharmakologischer Ursachen für psychische Erkrankungen, die primär eine medizinische Behandlung erfordern, sondern auch die Differenzialdiagnose von schweren psychischen Erkrankungen, u.a. Psychosen, Suchterkrankungen, bipolaren affektiven Störungen, dementiellen Entwicklungen, und insbesondere auch deren Frühstadien. Hinzu kommt die rechtzeitige Erkennung von Störungsbildern – zu Beginn oder im Verlauf einer Therapie –, die eine medikamentöse (Mit-)Behandlung notwendig machen. Psychiater sind Ärzte, die aufgrund des Medizinstudiums und der Facharztweiterbildung inklusive Psychotherapieausbildung qualifiziert sind, diese oben erwähnten ärztlichen Tätigkeiten in ihrem Kompetenzbereich ­abzudecken. Die psychologischen Psychotherapeu­tinnen sind aufgrund ihrer Aus- und Weiterbildung gut darauf vorbereitet, um psychologische Diagnostik durchzuführen, fachspezifische Beurteilungen zu formulieren und Psychotherapien anzuwenden, jedoch nicht, wie von der FSP in ihrem Artikel ­postuliert, um medizinisch-psychiatrische Diagnosen zu stellen.
Folglich sieht die SVPC die absolute Notwendigkeit der engen Kooperation von ärztlich-psychiatrischen und psychologischen Arbeitsbereichen bei der Behandlung psychisch Erkrankter. Die Anordung von Psychotherapie durch fachlich nicht dafür ausgebildete Ärzte ohne eine psychiatrische Differenzialdiagnose, in der Abwesenheit einer spezifischen therapeutischen Indikationsstellung sowie ohne umfassendes Verlaufsmonitoring, wie in der Petition gefordert, ist aus genannten Gründen nicht vertretbar. Folglich kann im diagnostischen und therapeutischen Prozess – insbesondere bei schwierigen und komplexen Krankheitsbildern – auf die Beurteilung durch die medizinisch-psychotherapeutisch ausgebildete Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie nicht verzichtet werden.
Die von der Petition geforderte und durch einen Systemwechsel implementierte Separierung der Berufsguppen ist daher der falsche Weg. Eine wirksame, zweckmässige und wirtschaftlich tragbare, integrierte psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung braucht aber die Bündelung aller an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen. Richtig und zukunftsweisend für eine gute interprofessionelle Versorgungplanung ist die Optimierung der be­stehenden Kooperation und nicht die von der Petition geforderte Separation.
Prof. Dr. med. Erich Seifritz
erich.seifritz[at]bli.uzh.ch
1 Adler Y, Wenger S.Der Vergleich mit dem deutschen «Anordnungsmodell» hinkt gewaltig (Stellungnahme zum Artikel von Erich Seifritz in Ausgabe 15/2019). Schweiz Ärzteztg. 2019;100(21):722.