Das Gezerre am Lebensende

Briefe / Mitteilungen
Édition
2019/20
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17899
Bull Med Suisses. 2019;100(20):690-691

Publié le 15.05.2019

Das Gezerre am Lebensende

Sehr geehrter Herr Porz
Mit grossem Interesse und zunehmender Besorgnis habe ich Ihr «Zu guter Letzt» gelesen. Zu Recht freuen Sie sich darüber, dass die SAMW in ihren Empfehlungen die Ethik aufgewertet hat. Das ist gut so. Was mich mit Besorgnis erfüllt, ist der Ton Ihrer Ausführungen. Ich vermisse darin den Respekt und die Demut. Dies sind ethische Werte, die not­wendig sind im Umgang mit schwerkranken Patienten und die, wie ich aus eigener Er­fahrung sagen kann, in aller Regel von allen Beteiligten geachtet werden, die an den Rundtischgesprächen mit schwerkranken Patienten und ihren Angehörigen teilnehmen, seien es betreuende Pflegepersonen oder klinisch beteiligte Ärzte/-innen aller Spezialitäten. Sie sehen, mit Ihrem zweiten Punkt, «Die Kern­inhalte der Ethikausbildung sind für alle Gesundheitsberufe gleich», bin ich voll und ganz einverstanden. Was mich ärgert, ist die Herablassung, mit der Sie den klinisch tätigen ­Kollegen/-innen begegnen, die seit Jahrzehnten an Spitalbetten, auf Intensivstationen und ­anderswo schwierige Gespräche führen. Sie sprechen uns «ethische Fachkompetenz» ab! Ethische Aspekte gehören wie psychoonko­logische, komplementärmedizinische und palliativmedizinische Aspekte zu jeder ärzt­lichen Entscheidung in der klinischen Onkologie. Sicher gibt es in diesen Bereichen ­Verbesserungspotential. Aber es gilt, die Pa­tientin ins Zentrum zu stellen. Die möchte nämlich in erster Linie ein ärztlich-pflegerisches Team, zu dem sie Vertrauen hat. Und sie leidet manchmal an der Fragmentierung der Betreuung, an zu vielen Terminen und zu vielen Bezugspersonen. Sie leidet an unserem «Gezerre»! Wenn jetzt noch die Ethiker miteinbezogen werden sollen in den klinischen Entscheidungsprozess, dann ist es unabdingbar, dass diese Fachpersonen nicht in erster Linie an sich selber, ihre Projekte und ihre Institute denken, sondern kommunikations­bereit und kompromissfähig, respektvoll und demütig sind, im Interesse unserer Patienten. Von einem Paradigmenwechsel, der ja nach Ihren Ausführungen durch die Inkommensurabilität charakterisiert ist, kann keine Rede sein. Dies würde ja implizieren, dass bisher noch nie ethische Aspekte in klinische Entscheidungen einbezogen worden wären!
Mit freundlichen Grüssen