Dr. Glaus ganz persönlich

Horizonte
Édition
2019/25
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17895
Bull Med Suisses. 2019;100(25):867

Affiliations
Dr. med., Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, Mitglied FMH

Publié le 18.06.2019

Unsere Leser interessieren sich natürlich dafür, etwas über Ihren Gesundheitszustand zu erfahren.
Ja, frohe Kunde macht die Runde: Ich bin genesen.
Woran haben Sie denn gelitten?
An künstlicher Intelligenz, sie ist über mich hereingebrochen. Ich war gezwungen, mich stationär behandeln zu lassen.
Wie hat sich die Krankheit manifestiert?
Tag und Nacht schwirrten Algorithmen um mich und in mir herum. Patienten wollten einen Doktor um Rat fragen und bekamen eiskalte Fakten um ihre Ohren geknallt. Eine Patientin wollte sich noch in der Sprechstunde das ­Leben nehmen.
Der Wahrscheinlichkeitstest besagte, sie werde es nicht tun. Sie verliess unverrichteter Dinge das Sprech­zimmer, das nicht mehr das meine war, sondern das einer künstlichen Intelligenz. Sie wechselte zum Doktor im Nachbardorf und nahm sich klammheimlich das Lebe­n.
Wie gingen Sie damit um?
Ich habe eine Krokodilsträne geweint. Das Schlimmste war, es sprach sich herum, und bald hatte ich suizidale Archetypen aus allen Landesteilen in meiner Sprechstunde.
Wussten Sie da noch, wie Ihnen geschah?
Die Erinnerung ist wie ausgelöscht.
In der Klinik in Pfusch unterzog man mich einer Gehirnwäsche. Das Ergebnis war ein klinisch reines Weiss.Herr Dr. Glaus, was raten Sie Ihren Kollegen, die von der künstlichen Intelligenz befallen werden?
Sie sollten das Sprechzimmer räumen und einen Flug zur Rückseite des Mondes buchen. Chinesische Reise­büros bieten diese schon an; wer lieber mit Gauss oder Tesla reist, muss sich noch ein wenig gedulden oder seine Muskeln spielen lassen.
Was werden die Reisenden auf der Rückseite des Mondes vorfinden?
Nichts!
Und das hilft?
Genau!
Inwiefern?
Das weiss so genau niemand, ausgenommen die künstliche Intelligenz.
Sie jedenfalls fühlen sich wieder imstande, Ihren Beruf auszuüben?
Nicht wirklich, aber ich hatte nun höchstens noch ­einen Gedanken aufs Mal, und es war immer derselbe.
Nämlich? Wenn man fragen darf.
Fragen dürfen Sie, aber diesen einen Gedanken behalte ich für mich.
Es ist uns zu Ohren gekommen, dass Sie einem Berufskollegen das Leben gerettet haben. Erzählen Sie unseren Lesern doch bitte, wie es sich zugetragen hat.
Nun ja, er meldete sich bei mir telefonisch mit einer gefühlten Atemfrequenz von 50. Man verstand ihn kaum, er hat dermassen nach Luft geschnappt. Ich fragte ihn, ob er den Fortbildungsnachweis nicht erbringen könne. Ein J und ein A zwischen den Atemzügen liessen meine Vermutung zur Gewissheit werden. Akute panische ­Hyperventilationsattacke. Ich bot dem Kollegen an, er könne meine Fortbildungsbelege alle haben. Innert ­weniger als einer Minute war das Problem gelöst.
Denken Sie, dass die Administration im Berufsalltag überhand genommen hat?
Keineswegs! Es ist doch nur gut, wenn immer noch ein Stapel Papier auf dem Pult liegt oder ein paar Stapel auf dem Mac hin- und hergeschoben werden können. Das beruhigt nach meiner persönlichen Erfahrung un­gemein. Man weiss, dass man nie fertig sein wird und darum pressiert es dann auch nicht mehr so.
Welche Massnahmen haben Sie nun ergriffen, um nicht ständig um diesen von Ihnen erwähnten einen Gedanken kreisen zu müssen?
Sie haben gewonnen. Ich verrate Ihnen nun den einen Gedanken doch noch: Ich dachte immerzu nur noch dar­an, ich müsste auf­hören zu praktizieren. Das habe ich nun getan, und der Gedanke ist nicht wiedergekehrt.
Herr Dr. Glaus, ich bedanke mich für dieses Gespräch.
Ungern, aber na ja!
Dr. Glaus’ Therapieempfehlung: ein Flug zum Mond (Symbolbild).
Vergangene Beiträge von Daniel Schlossberg mit Dr. Glaus:
Dr. Glaus und das Paradies. Schweiz Ärzteztg. 2017;98(37):1199.
Dr. Glaus kehrt zurück. Schweiz Ärzteztg. 2014;95(15):632.
Doktor Glaus. Schweiz Ärzteztg. 2013;94(19–20):765.
Dr. med. Daniel Schlossberg
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