Ärzte für die Zukunft

Der Planet unser Patient

Tribüne
Édition
2019/26
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17826
Bull Med Suisses. 2019;100(26):903-904

Affiliations
Dr. med., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Mitglied FMH, Mitgründerin der Graswurzelgruppe one planet for all – all for one planet

Publié le 25.06.2019

Es ist an der Zeit, dass wir als Ärzteschaft zum Thema Klimawandel Stellung beziehen! Der Zustandsbericht der Erde: Der WWF Living Planet Report [1] liest sich wie eine Krankenakte. Der Planet Erde ist unser Patient.
Wenn sogar der Löwe, der König der Tiere, vom Aussterben bedroht ist, dann muss doch auch der Mensch als selbsternannter Herrscher über die Erde merken, dass sein Thron wackelt.
Da die Medien und Politiker, Schulen und sonstige Entscheidungsträger bisher nicht adäquat mit massiver Aufklärungsarbeit begonnen haben, auf die zukünftigen Probleme aufmerksam zu machen, appellieren wir an alle unsere Kollegen und Kolleginnen, als Ärzteschaft unsere Verantwortung in die Hand zu nehmen und zu handeln. Wir hatten nie klarere Vorgaben für den Umweltschutz als die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele [2] und den in Paris beschlossenen Weltklimavertrag [3]. Heute haben wir das Wissen und kennen die Dringlichkeit, um unser Verhältnis zum Planet Erde neu zu definieren. Es gibt keine Entschuldigungen mehr für Tatenlosigkeit.
Medizin versteht sich als Wissenschaft, und so ist es unumgänglich, sich mit den wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Klimawandel auseinanderzusetzen und daraus Schlüsse zu ziehen. Wir haben eine moralische Verpflichtung gegenüber unseren Nachkommen, den Planeten nicht weiter zu ruinieren, sondern ihn im bestmöglichen Zustand zu hinterlassen.
In allen Ländern müssen Entscheidungsträger abwägen, wie Gesellschaften resilienter werden und wie ­zukünftige Probleme wie anhaltende Hitzeperioden, Wasserknappheit, Luft- und Wasserverschmutzung, Aussterben von Tierarten, Überbevölkerung und deren unvorhersehbare Folgen bewältigt werden können.
Es ist schon längst ein globales Problem, vor dem wir nicht weiter die Augen verschliessen dürfen.
Die Frage muss lauten: Wie schaffen wir es, die globale Energie, die uns Dank der Vernetzung erstmalig in der Geschichte der Menschheit zur Verfügung steht, positiv für den Planeten und für uns selbst zu nutzen?
Die Schülerbewegung macht es vor, wie ein gemeinsames Ziel über den ganzen Globus verbindet und stark macht. Es ist ein Evolutionsprozess notwendig, der uns befähigen wird, ein globales Verantwortungs­gefühl zu entwickeln, um gemeinsam die komplexen Herausforderungen des Klimawandels angehen zu können. Die Globalisierung der Wirtschaft verlangt nun eine Globalisierung des Mitgefühls, um die durch Gewinnmaximierung verursachten Probleme der Ressourcenausbeutung bewältigen zu können. Die Verzichtsdebatte sollte hinfällig werden, wenn wir alle bereit sind, ein verantwortungsvolles Leben zu führen, in dem Wissen, dass damit die Lebensqualität für viele gesteigert wird.
Auch in der Schweiz finden regelmässig Klimastreiks statt.
Die Schweiz hat als kleines Land eine grosse Wirkung auf alle Länder dieser Welt und damit eine grosse Vorbildfunktion für den Rest der Menschheit, die sie nicht verspielen darf.
Wir haben im Alltag mit den Patienten einen erheblichen Einfluss auf deren Lebensführung, so dass wir im Gespräch, ohne zu missionieren, achtsam auf die Massnahmen hinweisen können, die es jedem ermöglichen, einen wirksamen Beitrag zu leisten.
Greenpeace hat dazu einen handlichen kleinen Flyer verfasst, der sehr hilfreich ist [4].
Was bedeutet eigentlich ökologische Nachhaltigkeit und wie können wir sie am besten erreichen? Nach­haltigkeit betrifft in erster Linie kulturelle Fragen: Wir holzen und brennen Regenwälder ab, vernichten die Artenvielfalt, externalisieren Kosten und begünstigen damit die hemmungslose Ausbeutung begrenzter Ressourcen. Lassen Arm und Reich sowohl zwischen als auch innerhalb der Gesellschaften auseinanderdriften. Wir kontaminieren die Ozeane, gieren nach kurzfris­tiger Gewinnmaximierung und führen verschwenderische Lebens- und Konsumstile.
Wir brauchen ein ganzheitliches, mit der Natur verbundenes Menschheitsbild. Klimawandel braucht Bewusstseinswandel, braucht ­Gesellschaftswandel: lokal – regional – national – global. Bis 2050 können und müssen 50% des heutigen Energiebedarfs durch Verhaltensänderung eingespart werden.
Natürlich ist es verfehlt, den Klimaschutz dem Engagement einzelner Staaten und zivilgesellschaftlicher Akteure oder der Schülerbewegung zu überlassen. Aber das Wachrütteln der Zivilgesellschaften auf allen Ebenen und das Impfen mit den richtigen Ideen ist überfällig. Nur so kann eine Veränderung der Weltpolitik denkbar sein; es ist der wahrscheinlich erfolgversprechendste Weg, noch rechtzeitig eine Kurskorrektur unseres «business as usual» auf unserem Planeten zu erzwingen.
Eine Reihe von Wissenschaftlern sind nach jahrzehntelangem Kampf für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik entmutigt und bekennen offen, dass die Menschheit erst reagieren werde, wenn die Folgen des Klimawandels für jeden Einzelnen fühlbar und sichtbar werden.
Wir als Ärzteschaft tragen mit unserem Gelöbnis auf die Genfer Deklaration des Weltärztebundes [5] die Verantwortung, dass es nicht so weit kommt.
Unsere Kinder und Enkelkinder, die Hauptbetroffenen, können nur hoffen, dass ihre Eltern und Grosseltern die Folgen eines ungebremsten Klimawandels für die Welt nicht billigend in Kauf nehmen, sondern die Möglichkeiten der Demokratie endlich zu nutzen beginnen, um eine wirksame Kurskorrektur zu erzwingen.
Nach Fridays for Future, Parents und Scientists for Future ist es nun an uns Ärzten für die Zukunft, Farbe zu bekennen und zu­kunftsfähige Therapievorschläge zu machen. Wer bereit ist, sich zu vernetzen, meldet sich bitte bei: www.all4oneplanet.org
Literaturempfehlung: Harald Lesch, Klaus Kamphausen
Wenn nicht jetzt, wann dann? 
Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen. 
München: Penguin Verlag;2018.
ISBN: 978-3-328-60021-3