Der Arzt und der assistierte Suizid

Briefe / Mitteilungen
Édition
2019/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17695
Bull Med Suisses. 2019;100(12):419

Publié le 20.03.2019

Der Arzt und der assistierte Suizid

Ich kann mich den Gratulationen an die ­Adresse von Hans Stalder für seinen Artikel nicht anschliessen. Natürlich ist Leiden Sache der Medizin, aber es gilt weiterzudenken. Im konkreten Fall des assistierten Suizides geht es für den Arzt um die bewusste Entscheidung, die hippokratische Ethik zu verletzen, heisst es doch im hippokratischen Eid: «Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein tödliches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; ...» Hippokrates war kein brutaler Arzt, kein Arzt ohne jegliches Mitgefühl, der das Leiden seiner Patienten nicht lindern wollte, sonst wäre seine Ethik nicht Grundlage ärztlichen Handelns über Jahrtausende hinweg geblieben. Es standen ihm wesentlich weniger Mittel zur Verfügung, um Leiden zu lindern, als uns heute – trotzdem sah er von einer «Mitleidstötung» ab. Damals wie heute ist dies gut nachvollziehbar: Leiden zu lindern ist eine ärztliche Aufgabe, die Selbsttötung des Leidenden aktiv zu ermöglichen und damit sein Leben mitauszulöschen aber ist etwas grundsätzlich anderes.
Die sorgfältigen juristischen Erwägungen von Michael Barnikol, Rechtsdienst der FMH, zu der Problematik der Subjektivität von «unerträglichem Leiden» sind zu begrüssen. Jede Ärztin, jeder Arzt hat im Anschluss an die Beihilfe zum Suizid weiterhin mit den Angehörigen zu tun, die vielleicht mit dem Suizid ihres Vaters oder ihrer Mutter nicht einverstanden waren. In Belgien hat der Sohn einer depressiven Patientin, die euthanasiert wurde, den handelnden Arzt wegen seines Tuns eingeklagt. Er wird sich – wie auch der belgische Staat mit seiner Euthanasiegesetzgebung – demnächst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verantworten haben.