Ein Traum, ein Schuss Magie: Paramedizinisches aus der Renaissance

Horizonte
Édition
2019/15
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17692
Bull Med Suisses. 2019;100(15):562-563

Affiliations
Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Mitglied FMH

Publié le 09.04.2019

Beim Bummel durch die altehrwürdige Universitätsstadt Bologna, angeheitert von studentischem Flair und kulturellem Geist, traf ich auf dieses verblüffende Zitat des Regisseurs Federico Fellini (1920–1993): «La vita è una combinazione di pasta e magia.» Die Bedeutung der Teigwaren ist im italienischen Alltag sicherlich unbestritten, aber wieso soll denn dasselbe auch für die Magie gelten? Klar, wir Ärzte und Ärztinnen ­begegnen – Stichwort: Plazeboeffekt – im Berufsleben häufig irrationalen Wirkungsweisen, diese beruhen aber auf einer patienteneigenen hoffnungsvollen ­Erwartung, und nicht auf irgendeiner Art von Magie. Um von einer solchen sprechen zu dürfen, müsste von ­einer echten – wenn auch okkulten – Einflussnahme ausgegangen werden, so wie sie beispielsweise in der Astrologie oder auch in gewissen paramedizinischen Bereichen postuliert wird. Für die Erstere mag sich heutzutage wohl niemand mehr ernsthaft erwärmen, was von manchen schulmedizinisch unhaltbaren Ansätzen jedoch nicht behauptet werden kann. Es handelt sich hierbei um ein umstrittenes Thema, mit dem wir häufig entweder auf naive Anerkennung oder
Für die Astrologie mag sich niemand mehr ernsthaft erwärmen, was von manchen schulmedizinisch unhaltbaren Ansätzen nicht behauptet werden kann
kategorische Ablehnung stossen. So soll es Ziel dieses Aufsatzes sein, ein paar entspannende Zwischentöne anzustimmen. Ein illustrer Kollege, der Arztphilosoph Marsilio Ficino (1433–1499), mag mir dabei helfen.
Ficinos Vorwort zu «De vita libri tres» in der 1489 geschriebenen Handschrift. Das Werk enthält u.a. Anleitungen zum Erhalt der Gesundheit sowie zum Einfluss astrologischer Konstellationen auf die Ver­fassung des Menschen.

Dein Spiritus, das unbekannte Wesen

Die Epoche der Renaissance, der Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe der Antike, beschränkte sich nicht auf die Architektur und die bildenden Künste, sondern erfasste auch das philosophische und religiöse Denken. Inmitten dieser turbulenten Zeit gründete Ficino in Florenz seine platonische Akademie, wo er sich vor allem als Übersetzer und Interpret antiker Schriften hervortat. Eines seiner Hauptanliegen war es, die seiner Meinung nach in einer tiefen Identitätskrise steckende Kirche wieder zu einem ursprünglichen Verständnis von Sakralität zurückzuführen. Anfänglich seien nämlich die Priester zugleich auch Philosophen gewesen, und die Letzteren ihrerseits voll gläubiger Inbrunst. Im Laufe des Mittelalters sei diese Einheit von Pietas und Sapientia immer mehr verloren gegangen. Die religiösen Denker hätten sich mit dicken Klostermauern umgeben, wo sie ausgelaugte Begriffe ruminierten und an sterilen Worthülsen herumfeilten. ­Parallel dazu hätte sich eine Kaste geistig unmündiger Kirchenpraktiker ausgebildet, deren Glaubenseifer sich in sinnentleerter mechanischer Ritualität erschöpfte. So träumt Ficino von einer Rückkehr zu den altehrwürdigen Wurzeln der christlichen Lehre, von einer Prisca theologia, die, im Zeichen wiedergewonnener Einheit von Weisheit und gläubiger Hingabe, der Kirche ihre Autorität zurückgeben sollte. Im Einklang mit anderen Denkern aus der Renaissance gilt sein ­Interesse aber, nebst der Religion, auch verschieden­artigen okkulten Wissenschaften. So versucht er, unter Rückgriff auf wiederentdeckte antike Quellen, das ganze Universum mitsamt seinen Bewohnern als einen einzigen Organismus zu begreifen. Der Spiritus mundi, ein unseren Sinnen entzogener, durchs All wabernder Geist, soll allen Einzelteilen dieses Weltkörpers zu einer einheitlichen Funktionalität verhelfen. Darin sieht Ficino dann die Grundlage seiner medizinwissenschaftlichen Astrologie, der angeblichen Einflussnahme von Sternen und Planeten auf unseren Gesundheitszustand und unseren Charakter. In Analogie dazu will er auch gewissen irdischen Gegenständen und Materialien allerlei magische, therapeutisch nutzbare Eigenschaften zusprechen. Ohne aber diesbezüglich allzu konkret zu werden, bleibt Ficino hier ganz Pharmakologe und rät zu einem pragmatischen: «Gut ist, was hilft.» In enger Verbindung zu diesem alter­nativen ärztlichen Denken stehen auch seine
Zu diesem seelisch-körperlichen Zwitterwesen sollen gerade wir Ärzte und Ärztinnen wegen unserer intellektlastigen Lebensweise besonders Sorge tragen
Ansichten zur menschlichen Physiologie: Eine lokale Variante des obgenannten omnipräsenten Spiritus mundi soll – halb Psyche, halb Soma – nämlich auch ­unseren Körper erfüllen, als Vermittler zwischen ­physischer Aktivität und den jeweils dazugehörenden bewusstseinsinternen Abläufen. Zu diesem seelisch-körperlichen Zwitterwesen – so rät uns der Kollege ­Ficino – sollen gerade wir Ärzte und Ärztinnen wegen unserer intellektlastigen Lebensweise besonders Sorge tragen. Genügend Freizeit und Bewegung sowie gesunde Ernährung und Weltoffenheit hielten den Spiritus frisch, dieser degeneriere hingegen unweigerlich bei prolongierter mentaler Arbeit sowie räumlicher und sozialer Isolation. Eine der freien Atmung beraubte und überhitzte Geistigkeit evaporiere dann zur Unzeit und führe so zu zerebraler Exsikkose, seelischer Verarmung und Melancholie.

Von der Prisca theologia
zur Prisca ­medicina

Ficinos klinische Ratschläge zur Prävention des Burnout-Syndroms sollte sich die Ärzteschaft gerade heutzutage wieder mehr zu Herzen nehmen. Auch bei psychosomatischen Leiden, wo sowohl der Internist wie auch der Psychiater oft mit ihrem Latein am Ende sind, könnte die Berücksichtigung möglicher Entgleisungen des Spiritus, dieses unbekannten dritten Elements zwischen Körper und Seele, spekulative pathophysiologische Ansätze bieten. Das Hauptanliegen unseres Philosophen bleibt aber die Prisca theologia, die Restauration der verlorengegangenen Einheit und Autorität der ­Kirche mitsamt ihren Protagonisten. In diesem Zusammenhang finden sich durchaus Parallelen zur heutigen Identitätskrise in der Medizin, wo sich der ärztliche ­Eifer immer mehr auf das Gewusst wie fokussiert und die Diskussion um das sinnstiftende Was zunehmend von praxisfernen Ethikern, Politikern und Ökonomen geführt wird. In diesem Sinne hätten wir eine Art von Prisca medicina bitter nötig. Eine Medizin, deren Akteure
Hier finden sich Parallelen zur Medizin, wo die Diskussion um das sinnstiftende Was zunehmend von praxisfernen Ethikern, Politikern und Ökonomen geführt wird
wieder kompetente Autoritäten sind, die in allem, was unser Fach betrifft, auch zu sagen haben, was Sache ist.

«I had a dream ...»

Derartige Allrounder gibt es heutzutage allenfalls noch im Kino. Das führt uns zurück zu Federico Fellini und der Frage, wie er das Wort Magie in seinem eingangs erwähnten Spruch denn verstanden haben mag. Sicher nicht im paramedizinischen Sinn, hat doch die magische Stimulation unserer Verdauungssäfte, an­gesichts eines himmlisch dampfenden Tellers frischer Pasta, eindeutig physiologisch nachvollziehbare Gründe. Um Sterndeuterei und obskure Wirkkräfte von Amuletten, Pülverchen und Tinkturen wird es dem Filmemacher da ebenso wenig gegangen sein. Des Rätsels Lösung liegt wohl eher in seinen Werken selbst, den unvergesslichen Filmen wie Roma oder La città delle donne, die unsere Kinosäle einst mit einem überwältigenden Spiritus intensiv gelebter Italianität erfüllten. Eine ähnlich magische Stimmung herrschte aber damals auch in unseren Hörsälen, wo statt Statistik und PowerPoint noch der klinische Geist Regie führte. Das Rad der Zeit lässt sich natürlich nicht zurückdrehen, und so wird wohl auch die Prisca medicina ähnlich wie Ficinos Prisca theologia schlussendlich ein frommer Wunsch bleiben. Den Traum von richtig verstandener medizinischer Autorität lebendig zu erhalten, soll uns Ärzten und Ärztinnen aber dennoch aufgegeben sein, nicht zuletzt auch, um zu verhindern, dass unser beruflicher Nachwuchs magische Momente künftig nur noch im Zirkuszelt erleben darf.
Dr. med.
Jann P. ­Schwarzenbach
Medicina generale FMH
Via Guidino 9
CH-6900 Paradiso
jann.schwarzenbach[at]gmail.com