In memoriam P. Werner Straub (1933 – 2019)

FMH
Édition
2019/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17660
Bull Med Suisses. 2019;100(11):376-378

Publié le 13.03.2019

Paul Werner Straub hat als Forscher und Kliniker das theoretische und praktische Fundament des ärztlichen Berufes gefördert und mitgeprägt. Generationen von Ärztinnen und Ärzten verdanken ihm wichtige Jahre der klinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung, in denen er ihnen diszipliniertes ärztliches Denken und Handeln und eine kritische Wertung apparativ-technischer Befunde vermittelte.
Paul Werner Straub

Zürich, Brüssel, New York und zurück

Nach der Kantonsschule und Maturität in Schaffhausen folgte das Medizinstudium in Zürich, Montpellier und Wien mit dem Staatsexamen 1959 in Zürich. Im selben Jahr trat Werner Straub als Assistent ins Gerinnungsphysiologische Labor von Prof. Fritz Koller in Zürich ein. Die Forschung in der Blutgerinnung begleitete ihn lebenslang. Schon im ersten Auslandjahr (1960/61) in Brüssel (Prof. H. J. Tagnon) wies er die Fibrinogenproduktion in der menschlichen Leber nach. Nach einem einjährigen Aufenthalt als Research Fellow in New York am Sloan Kettering Institute for Cancer Research (Prof. J. H. Burchenal) trat er eine Assistentenstelle bei Prof. P. H. Rossier in Zürich an, wurde 1966 Oberarzt und 1970 Privatdozent mit einer Habilita­tionsschrift über chronische intravasale Gerinnung, 1973 Extraordinarius für Hämatologie.

Chefarzt der Medizinischen Universitätsklinik am Inselspital Bern

1975 erfolgte die Wahl zum Ordinarius für Innere ­Medizin an die Universität Bern und zum Chefarzt der Medizinischen Universitätsklinik am Inselspital. Prof. Werner Straub leitete diese Klinik gemeinsam mit Prof. Hugo Studer. Zwischen den beiden Chefs herrschte ein einzigartiges freundschaftlich-kollegiales Verhältnis. Werner Straub und Hugo Studer ergänzten sich charakterlich und fachlich ideal. Ihre vorbildliche Zusammenarbeit wirkte sich auf die Mitarbeiter stimulierend und befruchtend aus. Dies resultierte etwa darin, dass aus der Berner Uniklinik Dutzende von Chefärztinnen und Chefärzten schweizweit und mehrere Ordinariatsnachfolgen im In- und Ausland hervorgingen.
1981–1990 war Werner Straub Präsident des Chefärztekollegiums am Inselspital. 1985 schlug er eine Berufung als Ordinarius nach Zürich aus. Von 1994 bis zur Pensionierung 1998 leitete er das neugeschaffene Departement Innere Medizin am Inselspital Bern.

Otto Nägeli-Preis

Werner Straub blieb auf allen Karrierestufen sich selber treu, kannte weder Allüren noch Dünkel, auch dann nicht, als er neben vielen anderen Preisen 1984 den höchstdotierten Medizinpreis der Schweiz, den Otto Nägeli-Preis, erhielt. Als weiteres Charaktermerkmal zeichnete ihn eine angriffige Interessiertheit für alles Neue aus. Diese prägte manche Besprechungen, weil sie aufgrund seines grossen und breiten Wissens auch die Domänen der Medizin sprengten. Bei Kritik an wissenschaftlichen Studien wies er gelegentlich auf Christian Morgensterns Gedicht «Die Brille» hin (am Ende dieses Nachrufs abgedruckt). Selber poetisch begabt, war es ihm möglich, seine Mitarbeiter, lustige Situa­tionen, aber auch medizinische und politische Missstände in träfen Schüttelreimen zu charakteri­sieren.
Eines der Lieblingsgedichte von P. Werner Straub:

Die Brille

Korf liest gerne schnell und viel;
darum widert ihn das Spiel
all des zwölfmal unerbetnen
Ausgewalzten, Breitgetretnen.
Meistes ist in sechs bis acht
Wörtern völlig abgemacht,
und in ebensoviel Sätzen
lässt sich Bandwurmweisheit schwätzen.
Es erfindet drum sein Geist
etwas, was ihn dem entreißt:
Brillen, deren Energien
ihm den Text – zusammenziehen!
Beispielsweise dies Gedicht
läse, so bebrillt, man – nicht!
Dreiunddreißig seinesgleichen
gäben erst – Ein – Fragezeichen!!
Christian Morgenstern (1871–1914)

Freund klarer Worte

Umgekehrt charakterisierten ihn enge Weggefährten aus Labor und Klinik folgendermassen: ein brillanter Schnelldenker, schlagfertig, aufmerksam-skeptisch, voller origineller Ideen, von denen er selbstkritisch – manchmal spitzbübisch-schalkhaft – einige im Nachhinein auch als «Schnapsideen» bezeichnete. Er hatte Charisma, war unkonventionell, aber auch glaubwürdig, integer, redlich und stets auf der Suche nach dem praktischen Weg. Diese Eigenschaften können auch für die Art der Beziehung von Werner Straub zu seinen Patientinnen und Patienten stehen. Er informierte sie in klaren Worten darüber, was sie in Bezug auf die Art der Krankheit, deren Behandlung und den möglichen ­Verlauf wissen mussten. Das war für den Chef einer grossen Klinik nicht immer einfach, und er bezog daher neben den Kadermitarbeitern auch die Organspezialisten in die Betreuung mit ein, wobei er aber deren Vorschläge auch hinterfragen konnte. Als 1994 sein Chefarztkollege Prof. Hugo Studer pen­sioniert wurde und dessen Stelle nicht mehr besetzt werden sollte, versuchte Werner Straub alles, die internmedizinische Klinik integral zu erhalten, leider vergeblich, und dies trotz Unterstützung der geschlossenen Berner Hausärzteschaft.

Über 30 Jahre Redaktor bei EMH

1976 wurde Werner Straub Redaktor der Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift. Er hat sich immer dafür eingesetzt, diese Zeitung vom Doppelauftrag «Fortbildung» und «Impact factor» zu entbinden und für letzteren zu Englisch zu wechseln. Insofern hat er sich schon damals für das heutige Drei-Säulen-Modell der EMH eingesetzt. Für die Aufteilung der Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift in Schweizerisches Medizin Forum (SMF) und Swiss Medical Weekly(SMW) beteiligte er sich ab 2000 in der entsprechenden ­Arbeitsgruppe und war ab 2001 als Redaktor des SMW bis 2006 und zuletzt als Senior Editor bis 2011 tätig. Insgesamt waren es also über 30 Jahre redaktioneller Arbeit für die am meisten gelesenen schweizerischen Medizin­zeitungen. Offiziell lehnte er den Titel des Chefredaktors zwar immer ab, war es informell wohl oft trotzdem, weil seine Meinung und sein Urteil sehr geschätzt wurden. 1986 gab Werner Straub im Schwabe Verlag die erste deutschsprachige Auflage des amerikanischen Standardwerks «Harri­son’s Principles of Internal Medicine» heraus; auf die erfolgreiche erste Version folgte 1989 die 2., erweiterte Auflage.

Weitere Auszeichnungen

Von folgenden Organisationen wurde Werner Straub zum Ehrenmitglied ernannt: Schweizerische Gesellschaft für Innere Medizin (1999), Schweizerische Gesellschaft für Hämatologie (2000), Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2002).

Unersättliche Neugier

Jeden Mittwochmittag trafen sich interessierte Kliniker und Forscher im Thromboselabor zum ungezwungenen Austausch. Es war eine Brutstätte klinischer Forschung, wo viele Ideen geboren, Experimente geplant und Resultate analysiert und diskutiert wurden. Forschung war für Werner Straub keine akademische Pflicht zu Karriere­zwecken; sie war vielmehr getrieben von einer unersätt­lichen Neugier, die Geheimnisse der Natur und des Menschen zu verstehen. Damit wurde er ein grosser Motivator und Mentor für viele angehende klinische Forscher.

Erfinder und Firmengründer

Mit der Gerinnungsforschung war sein generelles Inter­esse am Fliessverhalten des Blutes, der Hämorheologie, verbunden. Es kann sein, dass die gemeinderät­liche Verantwortung Werner Straubs für die Wasserversorgung seines Wohnortes Frauenkappelen dazu führte, dass er in seinem Labor auch ein kleines Team aufbaute, das sich mit den Gesetzen der Strömung von Wasser befasste. Daraus resultierte eine Erfindung, welche die Konstruktion industrieller Pumpen erlaubte, die für die gleiche Wassertransportleistung mit einem Bruchteil des Energiebedarfs konventioneller Fabrikate auskamen. Daraus resultierte 1999 die Gründung der DCT Double-Cone Technology AG, Thun, deren VR-Präsident er bis 2004 war. Diese Entwicklung stellt einen eindrücklichen Beleg für Werner Straubs subtile Beobachtungs- und Erfindungsgabe dar. Eine weitere Begeisterung für das Wasser liess ihn bis ins höhere Alter an jedem Auffahrtstag in einem 8er-Boot an der traditionellen Steinerfahrt auf dem Rhein mitrudern, was er mitunter auch als seinen jährlichen kardiologischen Belastungstest bezeichnete.

Persönliche Krisen

Werner Straub hatte leider auch persönliche Krisen zu bewältigen. Dazu gehörte die einschneidende Dia­gno­se einer schweren körperlichen Krankheit nach der Pensionierung, die glücklicherweise geheilt werden konnte. In seinem letzten Lebensabschnitt schwächten ihn verschiedene Krankheiten, wobei ihm schliesslich deren detaillierte Wahrnehmung zum Glück erspart geblieben ist. Die Fürsorge der Familie und der lokale Unterstützungsverein ermöglichten es ihm, dass er bis fast zum letzten Atemzug zu Hause leben durfte. Am 24. Januar 2019 hat Werner Straub, der stets in kreativer geistiger und körperlicher Bewegung gelebt hat, seine grosse Ruhe gefunden.
Seine zahlreichen Schülerinnen und Schüler, Nachfolger, Kolleginnen und Kollegen haben ihm dafür zu danken, dass er ihnen fundamentale Werte des Arztberufes vermittelt hat: Ehrlichkeit und Offenheit im Kontakt mit den Kranken, eine kritische Haltung gegenüber dogmatischen medizinischen Glaubenssätzen bei der Behandlung des einzelnen Patienten, Ehrlichkeit in der Durchführung und Beschreibung von Studien, die Bewahrung der Neugier sowie die Offenheit für Unkonventionelles.
Am 1. Februar 2019 hat eine grosse Trauergemeinde in der Kirche von Frauenkappelen von Werner Straub Abschied genommen, unter ihnen auch die unterzeichnenden ehemaligen Oberärzte.
Max Stäubli, Peter Ballmer, Jürg Beer, Renato Galeazzi, Andreas Gerber, Reto Krapf, Walter Reinhart
rkrapf[at]bluewin.ch