Innere Werte, Cervelat und Metaanalyse

Horizonte
Édition
2019/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17604
Bull Med Suisses. 2019;100(10):358-359

Affiliations
a Prof. Dr. med. Dr. h.c., b Dr. med., c Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital, Bern

Publié le 06.03.2019

Kein Zweifel, innere Werte sind wichtig, auch beim ­Cervelat oder vielleicht gerade beim Cervelat. Die Frage, die sich allerdings stellt, ist nach der Qualität und Quantität dieser inneren Werte.
Die untenstehende Tabelle [1] gibt Auskunft.
Tabelle 1
Nutrition Facts 
Amount per 100 grams % Daily Value
Total Fat 30 g46%
 Saturated fat 12 g60%
 Polyunsaturated fat 1,2 g 
 Monounsaturated fat 13 g 
Cholesterol 74 mg24%
Sodium 1.300 mg54%
Das heisst also, dass mit 100 g Cervelat nur ungefähr  bis 1/5 des täglichen Kalorienbedarfs gedeckt werden, aber mehr als 50% des Plansolls von gesättigten Fettsäuren und Salz erreicht werden. Pro Jahr produzieren handwerkliche Metzger und industrielle Grossbetriebe in der Schweiz gut 160 Millionen Cervelats [2]. Wichtig ist auch, dass die äusseren Werte der schweizerischen Nationalwurst, nämlich die Wursthaut, oft nicht ganz so patriotischen Quellen wie etwa China oder Uruguay entspringen [3]. Gemäss Wikipedia [4] kann der Cervelat ab und zu auch «längs eingeschnitten, mit Käse gefüllt und mit Speck umwickelt (Arbeiter-Cordon-Bleu)» werden.
Foto eines Plakats an der Murtenstrasse 7, 3010 Bern, aufgenommen am 15.1.2019.
Wir begrüssen den untenstehenden Kommentar der AgroSuisse, dass es «also nicht um die ernährungsphysiologischen Vorzüge» gehe, denn solche sind unseres Wissens beim Cervelat nicht bekannt. Zu bedenken wäre aber, dass «ernährungsphysiologische Vorzüge» dieses «Genussmittels» möglicherweise zur koronaren Herzkrankheit und damit nolens volens auch zum nachträglichen Genuss von uns Kardiologen beitragen könnte.
Bezüglich der Aussage, dass der Cervelat «einen Beitrag zu Nose-to-Tail liefert» sollten wir bedenken, dass er eine Wurst ist und eine Wurst bleibt, die wie alle Würste dem von uns formulierten universellen Metaanalysen-Wurst-Ungewissheitsprinzip unterliegt: “A meta-analysis is like a sausage – Only God and the butcher know what goes in it and neither would ever eat any!” [5]. Leider nimmt sich heute kaum jemand Zeit oder besitzt die notwendige Qualifikation um die inneren Werte einer Metaanalyse (oder eines Cervelat) zu ergründen. Es erstaunt daher kaum, dass Metaanalysen, sogar, wenn in guten Journalen publiziert, sehr anfällig für Defekte und Manipulationen sind [6]. Obschon Metaanalysen in der Evidenzhierarchie an höchster Stelle stehen, tut man als Kliniker gut daran, solche und ähnliche Konstrukte mit einer gehörigen Portion Skepsis zu geniessen.
Der Duden definiert Wert als «einer Sache innewohnende Qualität, aufgrund deren sie in einem gewissen Maße begehrenswert ist [und sich verkaufen, vermarkten lässt]» [7]. Begehrenswert ist der Cervelat zweifelsohne und verkaufen und vermarkten lässt er sich ­sicher auch wie obige Zahlen zeigen. Jedoch hinsichtlich kardiovaskulärer Prävention wären vielleicht ­innere Mängel eine zutreffendere Terminologie als ­innere Werte.

Stellungnahme von Agro Marketing Suisse

Es freut uns, dass unser Plakat Aufmerksamkeit erregt hat. Die Kampagne «Auf die inneren Werte kommt es an» für das Gütesiegel Suisse Garantie stellt die inneren Werte von landwirtschaft­lichen Erzeugnissen aus der Schweiz in den Vordergrund. Es geht darum, die Konsumenten auf die unsichtbaren Werte von Schweizer Nahrungsmitteln hinzuweisen. Die Dinge, die man nicht sieht und bei welchen sich die Schweiz wesentlich vom Ausland abhebt:
– Suisse Garantie Produkte werden ohne Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) hergestellt.
– Der ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) ist eine ganzheitliche Betrachtung der Ökosysteme und beinhaltet tiergerechte Haltung / ausgeglichene Düngerbilanz / angemessener Anteil an ökologischen Ausgleichsflächen (Hecken, Wiesenstreifen etc.) / geregelte Fruchtfolge / Aufzeichnungs- und Kontrollpflicht.
– Die Kontrollen werden von unabhängigen Zertifizierungsstellen durchgeführt. Das Kontrollsystem deckt die ganze Produktionskette ab – von den Rohstoffen zur Verarbeitung bis hin zum Endprodukt.
Der Cervelat – unsere Nationalwurst – eignet sich sehr gut, um dies zu vermitteln. Es geht also nicht um die ernährungsphysiologischen Vorzüge – der Cervelat ist ein Genussmittel und nicht für den täglichen Bedarf gedacht –, sondern um den Produktionsprozess vom Stall bis ins Regal. Kommt hinzu, dass der Cervelat einen Beitrag zu Nose-to-Tail liefert. Neben dem Cervelat zeigt die Kampagne «Auf die inneren Werte kommt es an» aber auch Sujets wie Apfel, Rüebli, Brot, Ei, Milch, Butter, Brot usw.
Prof. Franz H. Messerli
messerli.f[at]gmail.com