Fehlendes Vertrauen der Ärztekammer der FMH in ihre Mitglieder
Dass die Ärztekammer der FMH es abgelehnt hat, die Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften (SAMW) in ihre Standesordnung aufzunehmen, ist viel mehr als nur bedauerlich. Es ist kurzsichtig, falsch und zeugt von wenig Vertrauen der Kammer in ihre Mitglieder; sie traut diesen mit ihrem Entschluss nämlich offensichtlich nicht zu, dass sie mit diesen umsichtig und sorgfältig formulierten Richtlinien der SAMW in ihrem Alltag besonnen und ärztlich im Sinne der Patienten und ihren Familien handeln und entscheiden können. Es ist eine verpasste Chance der Ärzte, selbstbestimmt über wichtigste Fragen dieses Berufsstandes entscheiden zu können. Schon immer gehörte die Betreuung und Begleitung ihrer Patienten am Lebensende zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben eines Arztes. Durch die indirekte Weigerung der Ärztekammer, an diesem für alle wichtigen und notwendigen Dialog konstruktiv oder vielleicht sogar federführend teilzunehmen, werden solche wichtigen Beschlüsse nicht von der Ärzteschaft selbst geregelt, sondern an die Politik delegiert oder gar an Sterbeorganisationen (was für ein fürchterliches und für die Patienten trauriges, einsam machendes Wort!) «ausgelagert». Die Ärzte sollten sich nicht beklagen über bevormundende Beschlüsse der Politik, wenn sie selber nicht in der Lage sind, für die Gesellschaft und jeden einzelnen Patienten wichtigsten Lebensfragen, auch zum Sterben und Tod, proaktiv und offen zu begegnen – dies im Sinne der Patienten, der potentiellen Patienten und unserer ganzen Gesellschaft, denn Linderung von Leiden ist die «eigentliche und wichtigste Sache der Medizin». Wenn das Leiden aus nachvollziehbaren Gründen unerträglich ist, dann kann es nicht getragen werden. Die Ärzte und auch die Patienten werden wissen, mit dieser Formulierung umzugehen, dieses Vertrauen müssen wir einfach haben, es bleibt uns keine andere Wahl, weil eine messbare, qualitätsorientierte Regulierung, gerade für dieses Thema, nahezu unmöglich ist und wenig Würde für unseren Berufsstand und auch für die Glaubwürdigkeit der schwer betroffenen Patienten beinhaltet. Es ist mir an dieser Stelle ein grosses Anliegen, Herrn Prof. Dr. Hans Stalder ganz herzlich zu danken für seinen sehr klugen und menschlichen Artikel «Ist Leiden nicht Sache der Medizin?» in der Ausgabe 3/2019 der Ärztezeitung. Ich finde es ganz wunderbar und vor allem auch bitter nötig, dass prominente Ärzte mit lebenslanger Erfahrung wie Prof. Stalder sich mutig und mit eigener Meinung äussern und damit eine Lanze brechen für eine Ärzteschaft, der man etwas zutraut – nämlich menschliches und ärztliches (nicht messbares) Handeln auch in den schwierigsten Situationen einer Arzt-Patienten-Beziehung. Ich bin Prof. Stalder sehr dankbar für seinen Artikel, und ich wünsche mir, dass möglichst viele Ärzte ihn gelesen und auch ein wenig verinnerlicht haben. Die Ärztekammer ist ihrem Wesen nach eine standespolitische Organisation, die uns in unserem ärztlichen Alltag bei schwierigen Entscheidungen wenig helfen kann (und dies auch nicht muss). Das sollte uns nicht verunsichern, sondern stolz machen auf die Anforderungen, die dieser Beruf an jeden einzelnen Arzt auch heute noch stellt.
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