Der amerikanische Anthropologe David Graeber, Lehrer an der London School of Economics, provoziert mit seiner Definition des Bullshit Job. Ein Job, den niemand vermisst, wenn es ihn nicht geben würde. Jeder zweite, vor allem im Büro, sei völlig sinnlos, behauptet er. Zwar würden neue Technologien schon heute die Voraussage von Keynes ermöglichen, doch seien, gemäss seinen Recherchen, nur viele neue, überflüssige und frustrierende Jobs entstanden. Er nennt Immobilienmakler, Unternehmensberater und Investmentbanker die Hofnarren des Kapitalismus. Niemand würde sie vermissen, wenn es sie nicht mehr gäbe. Ebenso wie unzählige neue Tätigkeiten, etwa Kultur- und Eventmanager, Fachreferenten für medizinisches Versorgungswesen oder Regionalkoordinatoren im Bildungsmarketing. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Graeber begnügt sich mit einer relativ kleinen Zahl von Stichproben. Gibt es einen zumindest statistisch gesicherten Massstab für den Nutzen einer Arbeit? Das Institut für Demoskopie Allensbach befragt die Bevölkerung regelmässig, welche Berufe sie am meisten schätzt. Das grösste Berufsprestige geniessen seit Jahren Ärztinnen, Krankenschwestern, Polizisten und Lehrer. Es sind die klar umrissenen Berufsbilder, die viele spezialisierte Berufe unerwähnt lassen, da deren gesellschaftlicher Nutzen von aussen schwierig einzuschätzen ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ermittelt immer wieder, wie sinnvoll Arbeitnehmer ihren Job empfinden. Rund ein Drittel hat den Eindruck, dass seine Arbeit keinen gesellschaftlichen Nutzen abwerfe, aber weit mehr als die Hälfte davon ist trotzdem zufrieden. Das subjektive Sinnerleben deckt sich nicht unbedingt mit dem, was aussenstehende Kritiker vermuten. Man kann ganz anders als Graeber argumentieren und darauf hinweisen, dass in einer extrem arbeitsteiligen Gesellschaft auch die Illusion von Arbeit einen Zusammenhalt ergibt, eine Sicherheit gegen die Launen des Marktes und die Ungewissheiten der Automatisierung. Arbeit ist ein Teil der Identität. Wer seine Anstellung verliert, wird bei einer Neueinstellung kaum den sozialen Nutzen seiner Anstellung hinterfragen, zumindest solange der Lohn stimmt. Im Zeitalter der Digitalisierung wird der Fürsorgecharakter von Arbeit zunehmen, so eine These des Autors. Dazu gehörten auch Nachbarschaftshilfe, Eltern- und Grosselternaufgaben und viele Ehrenämter. Die Arbeit gehe nicht aus, sie müsse nur anders finanziert werden.