Fatale Tendenzen im Gesundheitswesen – Sorgen um die Zukunft des Zürcher Waidspitals

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.17212
Bull Med Suisses. 2018;99(41):1405

Publié le 10.10.2018

Fatale Tendenzen im Gesundheits­wesen – Sorgen um die Zukunft des Zürcher Waidspitals

Offener Brief an den Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich, an den Gesundheitsvorsteher der Stadt Zürich und den Direktor der Zürcher Stadtspitäler
Als langjährige Hausärztinnen und Hausärzte von Zürich Nord und Mitglieder der institu­tionalisierten Kontaktgruppe vom ärztlichen Kader des Stadtspitals Waid mit der niedergelassenen Ärzteschaft machen wir uns nach den jüngsten Entwicklungen grosse Sorgen um dessen Zukunft. Es steht zu befürchten, dass mit den von der Politik formulierten ­Forderungen und Zielsetzungen das Waid­spital schrittweise «ausgeblutet und todgeschrumpft» werden könnte, ein Horrorszenario für uns und wohl auch grosse Teile der Bevölkerung des Einzugsgebietes. Und dies war am gleichen Tag in der Zeitung zu lesen wie die Prognose zum Bevölkerungswachstum, dass man nämlich mit einer Zunahme von 100 000 Menschen in Zürich Nord und West rechnet. Wo bleibt da der Weitblick?
Es fällt auf, wie viele Widersprüche in den Argumentationen stecken und wie so falsche Anreize gesetzt werden. Gut soll also der Chirurg sein, der möglichst viel operiert. Der generiert dem Spital viel Ertrag und senkt die Gestehungskosten.
Gut ist aber vielmehr der Chirurg, der nicht nur das Handwerk beherrscht, sondern die Indikation richtig und zum richtigen Zeitpunkt stellt, gut informiert, die Betreuung vor und nach der Operation gewährleistet und interdisziplinär gut vernetzt ist. Ob er nun 10 oder 50 Knie-Endoprothesen im Jahr implantiert, sagt hingegen sehr wenig aus über seine Qualität. Solche Zahlen sind jedoch heute der Gradmesser für die Vergabe von Leistungsaufträgen und das verdient energischen Widerspruch.
In «Der externe Standpunkt» der NZZ am Sonntag vom 23.9.2018 schreibt Jürg Barben: «Gesundheitspolitiker träumen von Spitälern, die eine hervorragende Versorgung für alle bieten und gleichzeitig hochprofitabel sind. Das ist leider unmöglich. Gesundheit kostet etwas.» Seinen Ausführungen ist voll und ganz zuzustimmen und es ist zu hoffen, dass es bei den Entscheidungsträgern langsam wieder zu einem Umdenken kommt. Wettbewerb und freier Markt können im Gesundheitswesen und weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens einfach nicht funktionieren. Da gibt es vor allem im Ausland schon genügend Belege. Barben betont auch, Spitäler könnten nur auf Kosten der Qualität Gewinne erzielen!
Es ist betrüblich, sachlich falsch und respektlos, wenn zu lesen ist, es stünde nun «Das ­grosse Entrümpeln» an im «maroden» Waidspital. Auf Grund unserer langjährigen Erfahrung und Zusammenarbeit wagen wir zu behaupten, dieses Stadtspital sei heute so gut wie noch nie. Vernetzung ist nicht nur ein Schlagwort, sondern wird gelebt. Fast tägliche Telefonate von betreuenden Assistenzärztinnen oder Kaderärzten zeugen davon und dienen der Behandlungsoptimierung unserer gemeinsamen Patientinnen und Patienten. Die erste hausärztliche Spital-Notfallpraxis im Kanton Zürich ist der Notfallstation des Waidspitals angegliedert und vor bald 10 Jahren installiert worden. Es herrscht eine Kultur der Offenheit und des Respektes. Die Patientenbetreuung ist ganzheitlich, medizinisch hochqualifiziert, menschlich und nimmt auf die sozialen Aspekte Rücksicht. Auch nach der Einführung der Fallpauschalen hat sich dies für uns nicht merklich geändert. Im Waidspital werden Operationsindikationen sehr sorgfältig geprüft und mit den Patienten besprochen. Die Altersmedizin und Palliativmedizin sind ebenfalls hervorragend, aber bekanntermassen tariflich sehr schlecht gestellt. Und im Waidspital darf man auch sterben, wenn die Zeit gekommen ist. Ein durchaus wichtiger Aspekt.
Es kann wohl nicht sein, dass ein Spital mit diesem Leistungsprofil nun auf Grund des «ökonomischen Ratings» massive Steuerungseingriffe gewärtigen muss. Wir warnen die Verantwortlichen eindringlich vor einem «Kahlschlag».
Fatale Tendenzen steht in der Überschrift. Damit ist nicht die ursprüngliche Bedeutung gemäss Fremdwörter-Duden gemeint, nämlich «vom Schicksal bestimmt», sondern die Interpretation «verhängnisvoll, folgenschwer»!
Aus menschlicher Sicht, unserer Meinung nach im Gesundheitswesen weiterhin essentiell, können wir eine Schlussbemerkung nicht unterlassen. Wie mit dem bisherigen Direktor des Waidspitals nach 28 Jahren Arbeit für dieses Haus verfahren wurde, empfinden wir als menschenverachtend.
Für die Hausärztinnen und Hausärzte der Arbeits­gruppe Waidkontakt: