Die Arzt-Patienten-Beziehung in Zeiten des Internets

Gesund gegoogelt: Das Wissen vorinformierter Patienten richtig nutzen

Tribüne
Édition
2018/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.17056
Bull Med Suisses. 2018;99(39):1328-1331

Affiliations
a Psychologin MSc, selbständige Organisationsberaterin und Trainerin für Auftrittskompetenz, Rhetorik und Kommunikation;
b Prof. Dr. Dr. med., Klinik für Urologie, UniversitätsSpital Zürich

Publié le 26.09.2018

Immer mehr Menschen suchen im Internet nach Informationen zu ihrer Gesundheit. Für Ärzte sind solche E-Patienten eine Herausforderung. Gelingt es jedoch, das Engagement der Patienten in die richtige Richtung zu lenken, profitieren beide ­Seiten davon – zugunsten der optimalen Therapie.
Seit dem Siegeszug von Internet und Google kommen immer mehr Patienten gut vorinformiert zum Arzt. Sie haben sich bereits eingelesen, was der anhaltende Kopfschmerz bedeuten könnte, woher der juckende Hautausschlag rührt und was es bedeutet, wenn der Stuhl eine gelbliche Färbung hat. Patienten, die sich mittels Internet über ihre Symptome und Diagnosen belesen, werden auch als E-Patienten bezeichnet.

Résumé

De plus en plus de personnes se renseignent sur Internet au sujet de leur santé. Les résultats de leurs recherches sont souvent imprécis, confus, voire effrayants. Pour les médecins, ce type d’e-patients représente une gageure. Ils doivent être abordés et impliqués dans leur traitement d’une manière diffé­rente. Mais au final, des patients qui s’informent en amont sont un enrichissement. Si l’on parvient à canaliser leur engagement dans le bon sens, c’est bénéfique pour les deux parties et cela favorise un traitement optimal.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung in Deutschland hat ergeben, dass 58 Prozent der Befragten sich vor ­einem Arztbesuch und 62 Prozent danach im Internet informieren. Demgegenüber stehen 30 Prozent der Ärzte, die sich zumindest teilweise über die Eigen­initiative ärgern [1].
Doch Fakt ist: Menschen, die sich für krank halten, krank sind oder Kranke in ihrem Umfeld haben, werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit versuchen, im Internet an Informationen zu diesen (möglichen) Krankheiten zu gelangen. Für Ärzte ist es eine neue ­Herausforderung zu verstehen, wie sie am besten mit vorinformierten Patienten umgehen und diese mit ­ihrem Engagement in die Behandlung einbinden können. Wer diese Herausforderung bewältigt, sichert sich das Vertrauen der Patienten und kann so die Behandlung verbessern. Eins vorweg: Vom Googeln abraten hilft der Patientenbeziehung nicht. Sinnvoller ist es, den Patienten in seinen Bemühungen zu leiten.

Vom Halbgott zum Berater

War der Arzt über Jahrhunderte der Halbgott in Weiss, dessen Expertise hoch geschätzt und dessen Diagnose nicht hinterfragt wurden, stimmt das heute nicht mehr zu 100 Prozent. Der heutige Patient schätzt die Expertise des Arztes, möchte sich auch selbst informieren dürfen – und falls nötig holt er sich auch selbstverständlich eine Zweit- oder sogar Drittmeinung ein.
Im schlimmsten Fall fühlen sich Ärzte durch vorinformierte Patienten in ihrem Expertenstatus bedroht und lassen das den Patienten auch spüren. Dabei sind neugierige Patienten, die sich aktiv einbringen und sich für ihre Gesundheit interessieren, auch eine Chance. Sie müssen aber in ihrer Situation passend ­beraten und geführt werden.
Es macht wenig Sinn, dem Patienten nahezulegen, dass er nicht mehr googeln soll. Nützlicher ist es, ihm zu ­sagen, wo er im Internet wertvolle Information findet. Diesbezüglich befindet sich die Arzt-Patienten-Beziehung heute an einem anderen Punkt als früher. Der Arzt hat nicht mehr die alleinige Autorität, sondern steht dem Patienten beratend zur Seite.

Warum googeln Patienten überhaupt?

Krank zu sein ist mit grosser Unsicherheit verbunden. Schon allein der Verdacht, eine mehr oder weniger schwere Krankheit zu haben, löst in Menschen Ängste aus. Sie sind unsicher, und diese Unsicherheit ist schwer auszuhalten. Das googeln von Krankheits­symptomen dient vor allem der Angstbewältigung und soll helfen, die Ambiguität vom Nichtwissen zu überwinden. Viele Menschen kommen mit einer falschen Klarheit besser zurecht (und sei sie noch so falsch) als die Ungewissheit auszuhalten.
Medizinisch gesehen ist dies natürlich trotzdem nicht immer ungefährlich; Patienten könnten so falsch oder gar nicht therapiert werden. Ein Patient, der seine Symptome googelt, tut das also nicht, weil er die Kompetenz des Arztes anzweifelt. Es handelt sich lediglich um eine Coping-Strategie, die der Arzt ernstnehmen sollte. Erkennt er das Bedürfnis hinter dem Googeln und kann er dem Patienten durch seine Expertise und Beratung bei der Angstbewältigung zur Seite stehen, hat er das Vertrauen des Patienten für sich gewinnen können.

Gesprächssituationen

Grundsätzlich finden sich Ärzte in drei verschiedenen Gesprächsphasen wieder. Diese sind je nachdem mehr dadurch geprägt, dass der Arzt nachfragt oder mehr dadurch, dass er dem Patienten etwas mitteilt.
Wie beeinflussen Internet und Google diese Phasen? Und wie kann der Arzt sie für den Beziehungsaufbau mit dem Patienten nutzen?

1. Anamnesegespräch

In diesem analytischen Gespräch will sich der Patient mit seiner Internetsuche im Detail einbringen. Unter Umständen kann er gewisse Symptome, die zu «seiner Diagnose» passen, sehr prominent darstellen, unpassende übersehen – bewusst oder unbewusst. Etwa 30 Pro­zent der vorinformierten Patienten verschweigen, dass sie ihre Symptome gegoogelt haben [2]. Je nachdem kann es passieren, dass sie versuchen, den Arzt mit ihrem Vorwissen zu «steuern». Umso mehr muss sich der Arzt bemühen, am Schluss des Gespräches alle Schlüsselsymptome auch wirklich abgefragt zu haben, und ihm gleichzeitig zeigen, dass man seine Bemühungen, sich zu informieren, respektiert. Indem Ärzte das Vorwissen abtun und geringschätzen, stossen sie die Patienten eher vor den Kopf. Oft ist es für den Patienten dann lange Zeit schwierig, eine neue Diagnose oder einen geänderten Therapiepfad zu akzeptieren.
Abbildung 1: Gesprächsphasen in der Arzt-Patienten-Kommunikation.

2. Überbringen von (schlechten) Nachrichten

Diese Gesprächsphase hat sich durch das Internet nicht nennenswert verändert. Hier werden Unter­suchungsergebnisse überbracht, unter Umständen versteht der E-Patient besser, was der Arzt sagt, kann die Informationen besser einordnen und werten, da er sich mit der Materie bereits auseinandergesetzt hat. Die Nachricht selbst – und der damit verbundene ­emotionale Schock – bleibt aber gleich.

3. Beratungsgespräch

Steht die Diagnose fest und ist sie kommuniziert, werden viele Patienten (erneut) im Internet nach Informationen suchen. Im Beratungsgespräch sieht sich der Arzt ebenfalls oft mit ergoogeltem Wissen in Bezug auf mögliche Therapien konfrontiert. In dieser Phase berät der Arzt einerseits, und andererseits fragt er nach, um herauszufinden, welches die bestmögliche und bestpassende Therapieform für den Patienten darstellt.

Welche Emotionen durchläuft der Patient beim Erhalt einer Diagnose?

Der Prozess, den Patienten beim Erhalt einer schweren Diagnose durchmachen, ist nichts anderes als ein Trauer­prozess. Menschen verarbeiten so Veränderungen, die von aussen auf sie zukommen und die sie nicht selbst gewählt haben und nicht steuern können. Im bekannten Modell der Veränderungskurve [3] durchlaufen die Betroffenen die folgenden sieben Phasen. Machen Ärzte sich klar, wie dieser Prozess verläuft und wo sie Einfluss nehmen können, fällt es ihnen deutlich leichter, ihre ­Patienten durch die einzelnen Phasen zu begleiten.

Die Phasen

1. Vorahnung

In dieser Phase gibt es noch kein konkretes Wissen, der Patient ahnt, dass er krank ist. Bedingt durch die Un­sicherheit beginnt der Patient, sich selbst zu informieren. Je länger diese Phase anhält, desto mehr können sich Patienten in die vermeintliche Krankheit hineinsteigern. Diese Phase sollte so kurz wie möglich ge­halten werden.

2. Schock

Eine negative Diagnose ist immer ein Schock – auch dann, wenn der Patient vermeintlich schon wusste, dass diese auf ihn zukommt.

3. Verneinung

Der Patient verdrängt die Diagnose, blendet sie aus oder redet sie klein.

4. Rationale Einsicht

Er Patient versteht, dass die Diagnose tatsächlich auf ihn zutrifft und dass es unumgänglich ist, sich mit der veränderten Situation zu befassen. Es bahnen sich Ärger, Wut und Frustration über die ­Diagnose ihren Weg. Warum gerade ich?

5. Emotionale Einsicht

Der Patient beginnt die Trauer zu verarbeiten. Er befindet sich im «Tal der Tränen», meist die am schwierigsten auszuhaltende Phase. Sie ist gekennzeichnet von depressiven Verstimmungen und Energielosigkeit.

6. Anpassen

Der Patient versucht, mit der neuen Ausgangslage umzugehen. Er probiert verschiedene Verhaltensweisen aus und entwickelt Strategien, um mit der Situation umzugehen.

7. Integration

Schliesslich lernt der Patient, mit der neuen Situation umzugehen. Die Veränderung wird nicht mehr bekämpft, sondern in das eigene Leben integriert.
Abbildung 2: Die Veränderungskurve. Durch die Autorin erweitertes Modell
der 5 Phasen des Sterbens nach Kübler-Ross [3].
Für die emotionale Begleitung des Patienten ist tendenziell immer weniger Zeit. Die Emotionen verschaffen sich jedoch ihren Raum und können nicht ignoriert werden. Es gibt einige zentrale Punkte im Verlauf der Veränderungskurve, an denen Ärzte ihr Verhalten anpassen können, um so die Ausschläge der Kurve zu vermindern und um sicherzustellen, dass sich der Pa­tient gut begleitet fühlt und die Therapievorschläge bzw. -anweisungen des Arztes befolgt:
1. Vorahnung kurzhalten und den Patienten aus der Phase der Ungewissheit erlösen
2. Die schlechte Nachricht nicht hinauszögern, sondern gleich zum Punkt kommen. Kurz, knapp und klar.
3. Im «Tal der Tränen» sind Patienten nicht zugänglich für Sachinformationen. Hier müssen Ärzte auf emotionaler Ebene Verständnis zeigen («Ich verstehe, dass Sie gerade traurig/wütend sind»; «Es ist schwer, mit dieser Diagnose umzugehen»). Erst wenn sich der Patient auf diese Weise abgeholt fühlt, ist es möglich, mit ihm wieder über die Fakten zu sprechen («Wie wäre es, wenn wir nun gemeinsam schauen, wie Ihre Therapie aussehen könnte»).

Das Spiel mit dem Status

Wer sich über die veränderte Beziehung zwischen Arzt und Patient Gedanken macht, kommt nicht umhin, sich mit der Statustheorie [4] zu beschäftigen. Vereinfacht ­gesagt, geht es um Folgendes: Menschen können sich entweder im Hoch- oder im Tiefstatus befinden. Im Hochstatus wird ihnen Respekt entgegengebracht, im Tiefstatus Sympathie. Durch seine berufliche Rolle ist der Arzt grundsätzlich im Hochstatus. Er stellt die Diagnose, ist Experte und erklärt dem Patienten seine Krankheit. Der Patient zollt ihm dafür Respekt. Durch die Möglichkeit, sich auch anderweitig Informationen zu beschaffen, und die freie Arztwahl reicht eine respektvolle Beziehung heutzutage aber nicht mehr aus. Der Patient möchte vom Arzt auch verstanden und ernstgenommen werden und schenkt ihm dafür Vertrauen und Sympathie.
So kann sich der Arzt auf einer persönlichen Ebene ­bewusst in einen Tiefstatus begeben, beispielsweise indem er mit dem Patienten beim Gesprächsauftakt über ein Thema spricht, in dem sich der Patient ebenfalls gut auskennt (z.B. ein Hobby oder den Beruf). Es ist auch denkbar, den Patienten mit seinem Vorwissen in die Therapie einzubinden. Zum Beispiel kann der Arzt nachfragen was der Patient bereits alles über die Krankheit herausgefunden hat, und dessen Wissen ­abholen. Oder er beauftragt ihn z.B., seine Blutwerte in eine Tabelle einzutragen, und übergibt ihm somit Verantwortung. So hilft der Arzt dem Patienten für einen Teil des Gesprächs, zum Experten zu werden, versetzt ihn so in den Hochstatus und vermittelt ihm, dass er ihn ernstnimmt und mit ihm auf Augenhöhe kommuniziert. Gelungene Kommunikation findet dann statt, wenn die Status von Arzt und Patient nicht zu stark voneinander abweichen und beide die Möglichkeit habe­n, beide Status zu zeigen.

Der E-Patient hat Potential

Laut der Bertelsmann-Studie ermutigen nur 20 Prozent der Ärzte ihre Patienten dazu, sich über das Internet Informationen zu beschaffen. Noch immer scheint die Meinung vorzuherrschen, dass es sich bei den vorinformierten Patienten um komplizierte Patienten handelt. Doch der E-Patient ist auch eine Chance, denn er ist in Bezug auf seine Gesundheit interessiert und engagiert. Als Arzt oder Ärztin lohnt es sich, sich mit dem Thema «vorinformierter Patient» aus­einander­zusetzen. Diesen zu beraten ist zwar oft zeitaufwendiger, doch in Zukunft werden mehr und mehr Patienten mit Vorwissen in Praxen und Kranken­häuser kommen. Mit ihnen professionell umgehen zu können ist daher eine Schlüsselkompetenz für den Arztberuf.

Kommunikationsinstrumente für das ­Patientengespräch

Um den Patienten so zu erreichen, wie es ihm und dem Behandlungserfolg am meisten nützt, gibt es verschiedene Kommunikationsinstrumente. Verbal, paraverbal und nonverbal. Das Verbale umfasst Wortwahl, Sprache, Dramaturgie und Syntax. Das Paraverbale, also die Stimme, lässt sich durch Tonlage, Tempo und Pausen, Betonung sowie Lautstärke gestalten. Beim Nonverbalen kommt schliesslich der Körper zum Einsatz. Bewegung, Haltung und Stand, Blick, Mimik und Gestik sowie die Proxemik (Raumverhalten) beeinflussen damit das Gesagte. Grundsätzlich gilt: Worte sind wichtig, aber erst mit dem Einsatz von Körpersprache und Stimme werden die Worte ihr Ziel erreichen. Wie kann das gelingen?

1. Proxemik (Raumverhalten)

Ob sich Arzt und Patient frontal gegenübersitzen oder eher nebeneinander (beispielsweise über Eck), macht einen grossen Unterschied. Gerade wenn es darum geht, über die Therapie zu sprechen, ist es hilfreich, in die gleiche Richtung zu blicken, z.B. auf Röntgen­bilder oder Unterlagen. Eine solche Anordnung ver­ringert die Hierarchie und sorgt tendenziell für mehr Vertrauen.

2. Dreimal ja abholen

Eine gute Methode, um skeptische oder ängstliche ­Patienten abzuholen, ist das sogenannte Yes-Set. der Arzt stellt dem Patienten erst drei geschlossenen Fragen, die dieser mit «ja» beantworten kann, bevor er die Anamnese mit einer offenen Frage beginnt. Zugrunde liegt die Erkenntnis, dass sich Menschen, die sich bejahend gegenüberstehen, leichter zu konstruktiven Lösungen kommen. Ein Yes-Set lässt sich über Fragen schaffen, die mehr oder weniger automatisch Zustimmung nach sich ziehen:
Beispiel
Stimmt es, dass Sie heute wegen xy-Beschwerden hier sind? Ja.
Ist es Ihnen recht, wenn ich Ihnen zuerst ein paar Fragen stelle? Ja.
Und danach würde ich Sie dann genauer untersuchen. Passt das so für Sie? Ja.
Antwortet eine Person dreimal mit Ja – und sei es auf noch so nebensächliche Fragen –, fühlt sie sich abgeholt und ist bereit, auf das anstehende Thema einzugehen. Es entsteht eine Beziehung und damit Vertrauen. Der Rest des Gespräches fällt in einer solche Atmo­sphäre umso leichter.

3. Spiegeln

Unser Sozialverhalten erlernen wir, indem wir das Verhalten anderer imitieren. Dafür sind unsere Spiegelneuronen verantwortlich. Dieses Wissen können sich Ärzte im Umgang mit Patienten zunutze machen und auf nonverbaler Ebene ein positives Setting schaffen. Sitzt ein Patient beispielsweise zurück­gelehnt auf dem Stuhl und der Arzt spiegelt diese Haltung, hilft das, eine vertrauensvolle Gesprächsbasis herzustellen.

Kursangebot

Die beiden Autoren dieses Textes bieten dank Unterstützung durch den «Interessenverband für Ärzte» ­einen Kurs an, um die präsentierten Strategien zu üben. Der Kurs findet am Samstag, 10. November 2018, von 9–13 Uhr an der Pädagogischen Hochschule ­Zürich statt. Bei Interesse E-Mail an Dr. Béatrice Bürgi ­bbuergi[at]markmichel.ch

Take Home Messages

– Patienten googlen aus Unsicherheit und Angst, nicht weil sie die Kompetenz des Arztes anzweifeln
– E-Patienten wollen in ihren Bemühungen, sich zu informieren, ernst genommen und wertgeschätzt werden
– Ärzte sollten ihre Patienten beim googlen in die richtige Richtung lenken (und sie ge­gebenenfalls sogar in die Therapie einbinden)
– Durch geeignete Kommunikation können Ärzte Vertrauen schaffen und den Bedarf nach zusätzlicher Information mindern
Norina Peier
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