So war Plato von der Existenz individueller Substanzen als zeitlose Essenzen aller Dinge überzeugt, hat diese aber gleichzeitig in einer Art von «Cloud» ausgelagert und damit als metaphysische, rein ideelle Einheiten der empirischen Erfahrbarkeit entzogen. Die Substanz eines Menschen war in diesem Sinne identisch mit seiner angeblich seit jeher präexistierenden, unsterblichen Seele. Aristoteles, dessen Philosophie dem Allgemeinempfinden um einiges näher liegt, fand Substanzielles im konkret vorhandenen Einzelnen und in den diesem letzteren notwendigerweise zugehörigen Attributen. Bei einem Exemplar des Homo sapiens wären das beispielsweise der angeborene Charakter und die exklusive Fähigkeit, rational zu denken. Die an die Substanz gekoppelten Akzidentien hingegen bestimmen nach Aristoteles die variable, empirisch erfahrbare Form, in der die einzelnen Dinge, und so auch der Mensch, von Fall zu Fall erscheinen. Bei Vertretern unserer Spezies handelt es sich dabei etwa um Parameter wie Körpergewicht, Alter, Besitz, Beruf und sozialen Status. In den auf die Antike folgenden, von religiösem Denken bestimmten Jahrhunderten gab es das Substanzielle nur noch von Gottes Gnaden, bis dann die moderneren Philosophen von Descartes bis Hegel es in unserem Bewusstsein, beziehungsweise unserem Selbstbewusstsein, aufzufinden glaubten. Für die damalige Zeit unerhört skeptische Betrachtungen zum Thema finden wir in den Schriften von David Hume (1711–1776), auf den ich im nächsten Abschnitt ein wenig näher eingehen werde. Er spricht den Substanzen jede wahre Realität ab und reduziert sie auf ein rein empirisch-psychologisches Phänomen, das dann auftritt, wenn wir gewisse Dinge über längere Zeit beobachten. Man könnte jetzt natürlich die Diskussion über die tatsächliche oder eben nur eingebildete Existenz von Substanzhaftem als eine Schrulle von Philosophen betrachten, die locker die nötige Zeit aufbringen, sich mit solchen akademischen Spitzfindigkeiten auseinanderzusetzen. Ginge es in diesem Zusammenhang nur um die wesenhafte Beständigkeit von Alltagsobjekten oder einfachen Lebewesen, wäre diese Kritik berechtigt. Wenn wir hingegen vom Menschen und hier in besonderem Masse auch von unseren Patienten sprechen, so zeigt die Thematik grosse praktische Relevanz: Es geht hier nämlich um die Frage, ob wir über eine substanzielle innere Identität verfügen, ob es ein stabiles Ich gibt, das uns ein Leben lang begleitet. Ein Ich, das auch in Krankheit und Alter, sowie vor und nach einer ärztlichen Behandlung, grundsätzlich
dasselbe bleibt. Auf diese für alle medizinisch Tätigen wichtige Thematik werde ich im letzten Abschnitt noch zurückkommen.