"Ja, ihr geht's wohl und nichts kann übel stehn (ausser dass sie nicht mehr lebt)"

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06766
Bull Med Suisses. 2018;99(21):655-656

Publié le 23.05.2018

«Ja, ihr geht’s wohl und nichts kann übel stehn (ausser dass sie nicht mehr lebt)»

(nach Romeo und Julia, William Shakespeare)
F. Achermann schreibt: «Wie dieses ‘sein Leben’ dem Tod zu übergeben ist, ist Folge der eigenen, selbst getroffenen Entscheidung.» Was ist, wenn es sich z.B. insofern um eine irrtümliche Entscheidung handelt, als der Betreffende weiterhin einen spontanen Lebenswunsch hat, dieser jedoch seitens einer sich z.B. wegen «Sich (von der sich über die Solidarität mit ihren Kranken hinwegsetzenden Gesellschaft) allein gelassen Fühlens» langsam etablierenden «Ablebe-Optik» an die Wand gefahren (ins Unbewusste verdrängt) wird, so dass er zwar weiterhin vorhanden, aber nicht mehr bewusst ist? Bekanntlich fühlen sich 9 von 10 dieser sich gegen ihr Leben zu wenden beginnenden Betroffenen gesellschaftlich «im Abseits» und «nicht mehr gebraucht»; was folgt, ist die Entwicklung einer solchen (Ablebe-)Optik. Auch kann man ­(gemäss Prof. Klaus Ernst, vormaliger ärztl. Direktor der Zürcher Universitätsklinik für Psych­iatrie «Burghölzli») annehmen, dass die Betroffenen sich unter dem angeblich gewünschten Ableben eigentlich kein solches, sondern «ein weniger leidvolles Leben» vorstellen, ohne sich dieses geradezu lebensentscheidenden Irrtums bewusst zu sein und sich darüber Rechenschaft ablegen zu können. Hier setzt nun das allzu «naheliegende» Verständnis der Sterbe-(statt Lebens-)Begleiter ein, indem sie ohne Berücksichtigung ­eines vorhandenen, wenn auch quasi verschüttet liegenden, ansonsten gesunden und legitimen Lebenswunschs die de facto lebensfeindliche Ablebe-Optik für den eigentlichen Wunsch halten (sowie für «autonom»?) und dem in medizinisch-psychiatrischer Hinsicht sich in einem Zustand der Lebensgefährdung befindenden Betroffenen auch noch versichern, es gebe keinen Grund, an der Zuverlässigkeit seiner Entscheidung gegen ein weiteres Dasein zu zweifeln, denn sein bisheriges Leben habe ja gezeigt, dass er in der Lage sei, bei wichtigen Belangen wie z.B. Berufs- ­sowie Wahl des Lebenspartners richtig zu ent­scheiden. Damit versuchen sie jedoch, die ­lebens­feindliche Ablebe-Optik abzusegnen, wie wenn sie für solche «Segenserteilung» ­tatsächlich befugt und qualifiziert wären. F. Achermann zitiert aus der Deklaration von Genf, der Arzt habe sich in den Dienst der Menschlichkeit (also des seitens Ablebe-Optik bedrängten menschlichen Lebenswunschs, siehe oben?) zu stellen und die Gesundheit und das Wohlergehen Kranker als oberstes ­Anliegen hochzuhalten – und wie steht es ­anderseits um die «zu respektierende Ent­schei­dungs­autonomie des Betroffenen», wenn irrtüm­licherweise ein vorliegender, spontaner Lebenswunsch unbeachtet bleibt, der als Folge der genannten Optik zurzeit nur nicht ver­fügbar ist (zurzeit nicht «erinnerbar»)? Das Wohlergehen als oberstes Anliegen – nur, wie «wohl» ergeht es jemandem dadurch, sich gegen sich selbst und seine Vita zu wenden? Wo verbleibt die eigentliche Autonomie, nämlich, wennschon, diejenige des Lebenswunschs?
Und wie «gesund» (!) ist Natrium-Pentobarbital?