Aufgetaucht

Horizonte
Édition
2018/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06572
Bull Med Suisses. 2018;99(16):530

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publié le 18.04.2018

Ein Mammutkiefer neben einem neuzeitlichen Gebiss, Handys, Bronzewaffen und Schmuck. Was eine Ryy­butzete tonnenweise zutage brachte, war zum Teil in der Barfüsserkirche Basel ausgestellt. Funde aus dem Abschnitt Kraftwerk Birsfelden bis Dreirosenbrücke, angeschwemmt aus dem Rümelinbach und der Kana­lisation. Jede Tauchaktion brachte Zufälliges an die Oberfläche, ein Fundbüro der Jahrtausende, abgelegt und beschriftet in Glasvitrinen, von steinernen Kanonenkugeln bis zu modernen Gewehrpatronen. Ein ­rostiger Revolver zierte das Plakat der Ausstellung «Aufgetaucht – Basels geheimnisvolle Wasserfunde», die anfangs März in der Barfüsserkirche Basel zu Ende ging. Es war nicht der Schatz der Nibelungen, der da ­geborgen wurde, dafür gab es einen spannend inszenierten Längsssschnitt zu sehen, der vom eiszeitlichen Urrhein bis zur Wegwerfmentalität unserer Tage reichte.
Früher, als gebührenpflichtige Abfallsäcke noch heiss umstritten waren, kletterten die Schüler der Oberstufe mit ihren Lehrern durch die engen und steilen Tobel der zahlreichen Gemeindebäche. Die Ausbeute einer Tagesaktion wurde vor dem Abtransport auf dem Dorfplatz ausgestellt. Prunkstücke waren rostige Fahrräder, Autopneus, Einkaufswagen, Matratzen und landwirtschaft­licher Schrott. Es mag viele Gründe gegeben haben, ­warum dieser gute Brauch zum Erliegen kam. Das ­Einsammeln war nicht ungefährlich, mancher ­verstieg sich im Übereifer in unwegsamen Bachläufen, andere schleppten schwer am Objekt der Begierde. Vielleicht fühlten sich auch etliche Dorfbewohner an den Pranger gestellt, wenn aus der Herkunft des Abfalls unschwer auf den Sünder zu schliessen war. Manchmal entlarvten Vandalen sich selber, wenn abgeschraubte Verkehrstafeln oder zerbeulte Patent-Ochsner-Kübel wieder zum Vorschein kamen. Seither hat sich auch die Entsorgung verbessert: niemand muss das Brennbare heimlich im Wald abfackeln. Vom Bauschutt bis zur Konservendose sorgen Sammel-Container für eine geordnete Abfuhr. Geblieben ist das ­organisierte Abholen verschnürter Zeitungs- und ­Kartonpakete, die, über Altstoffhändler rezykliert, die Schulkasse aufbessern.
Ab- und aufgetaucht wird an vielen Orten. Ein Verein von Umwelt- und Abfalltauchern säubert seit Jahren den ufernahen Bereich des Vierwaldstättersees. Auf der Liste entsorgten Sondermülls stehen Kühlschränke, Autobatterien, Ofenrohre und Gartenbänke. Irgendwo soll laut Vereinspräsident auch Spitalmobiliar ver­rotten. 2017 hat das Eidgenössische Departement für Verteidigung Bevölkerungsschutz und Sport VBS einen Bericht über das Gefährdungspotential versenkter Militärmunition in Schweizer Seen publiziert. 8210 Tonnen sollen es sein, die Mitte der 1960er-Jahre versenkt ­wurden und heute bis zu zwei Meter unter dem Seegrund liegen. Die Bergung sei zu riskant und zu teuer, befand das VBS vor einigen Jahren. Eine selbständige Detonation gilt als ausgeschlossen. Ein Monitoring von 2012 bis 2016 überprüfte die Freisetzung giftiger Stoffe, 2019 sollen erneut Sedimentkerne im Bereich der versenkten Munition untersucht werden. Rückstände von Explosivstoffen und Abbauprodukten wurden nachgewiesen, deren Konzentration soll aber gemäss Bericht hundert- bis tausendfach unter den Vorgaben der Lebensmittel-Gesetzgebung liegen.
Bis in die 1950er Jahre glänzten wörtlich die offenen Abfalldeponien vieler Gemeinden in der Sonne. Ein ­Eldorado für interessante Funde an schulfreien Nachmittagen.
Väterchen Rhein erzählte in der Ausstellung Geschichten zur Poesie des Abfalls. Vielleicht ist alles nur eine Frage der Zeit. Der moderne Abfall wird in einigen ­Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden archäologisch in­ter­essant. Immerhin haben Bronzehelme und Mammutzähne nie unser Trinkwasser gefährdet.
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