Plädoyer zur Wiedereinführung der Hasler-Studie

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06505
Bull Med Suisses. 2018;99(11):341

Publié le 14.03.2018

Plädoyer zur Wiedereinführung 
der Hasler-Studie

Brief zu: Künz K, Strub S. Einkommen der Ärzteschaft
in freier Praxis: Auswertung der Medisuisse-Daten 2009. Schweiz Ärztezeitung. 2012;93(38):1371–9.
Während über 30 Jahren veröffentlichte die FMH jährlich in der SÄZ die so genannte Hasler-Studie über die AHV-pflichtigen Ärzteeinkommen in freier Praxis. 2013 hat das Bundesamt für Sozialversicherung dies verboten mit der Begründung, die Bekanntgabe dieser Zahlen sei nicht «im überwiegenden öffentlichen Interesse». Seither wird die Studie nicht mehr durchgeführt. Mit dieser Abschaffung der Transparenz wurde auch die Kritik an den Einkommensunterschieden unter den Fachgebieten von fast 400% zwischen Spitzen­reitern und Schlusslichtern weitgehend zum Verstummen gebracht.
Per 1.1.2018 ist der TARMED durch den Eingriff des Bundesrates zum ersten Mal seit seiner Entstehung erheblich verändert worden – unter dem Protest der FMH. Nun versuchen die Tarifpartner, sich auf einen neuen Tarif zu ­einigen. Dessen wichtigste Aufgabe besteht darin, die zur Verfügung stehenden Mittel gerecht auf alle ärztlichen Leistungen und damit auch angemessen unter den Fachgruppen zu verteilen. Wird dieses Ziel verfehlt, nehmen diejenigen ärztlichen Bereiche weiter zu, bei welchen eine betriebswirtschaft­liche Praxisführung unmöglich ist.
Spätestens jetzt erweist sich die Abschaffung der Einkommensstudie als ein Fehler. Denn sie ist ein unerlässliches Instrument für die Qualitätsprüfung des Tarifs:
1. Nur sie beruht bei der wichtigsten Kennzahl – den Einkommen – nicht auf Selbstdeklaration, sondern auf den durch die Steuerbehörden verifizierten Daten.
2. Nur sie erfasst die gesamte über die AHV-Ausgleichskasse Medisuisse versicherte, frei praktizierende Ärzteschaft und leidet nicht unter mangelnden Rücklaufquoten.
Die letzte Einkommensstudie (im Jahre 2012, betreffend die Einkommensverhältnisse 2009) schloss zum ersten Mal auch eine Erhebung von Arbeitspensen mit ein. Diese zeigte, dass die Einkommensunterschiede unter den Fachgruppen nicht durch unterschiedliche Arbeitspensen erklärt werden können: Die Streuung bei den untersuchten Fachgruppen lag lediglich zwischen 73 und 102%. Und die tiefsten Arbeitspensen fanden sich nicht bei den tiefsten Einkommen.
Die Einkommensstudie sagt viel über die Qualität des TARMED aus, weil der grosse Teil der Einkommen der frei praktizierenden Ärzteschaft über ihn generiert wird. Aber sie ­beinhaltet auch nicht über den TARMED erzeugte Einkommen, nämlich über Selbstzahler, VVG-Leistungen, Selbstdispensation etc. Deshalb braucht es zur Qualitätsprüfung des Tarifs weitere Instrumente wie ROKO-Zahlen, Trustcenter-Daten, die regionalen Taxpunktwerte etc. Zur Ausarbeitung des neuen Tarifs sowie zur Verbesserung der Datensicherheit bei den Arbeitspensen ist auch eine Über­arbeitung der Fachgruppen-spezifischen Produktivitäten unerlässlich: Hier besteht zum Teil ein von allen Tarifpartnern anerkannter Korrekturbedarf.
Einkommenstransparenz liegt auch im Interesse der Öffentlichkeit. Denn diese ist darauf angewiesen, dass die Versorgungsengpässe in den weniger beliebten Fachgebieten nicht noch weiter zunehmen. Und dass nicht wichtige ärztliche Leistungen verschwinden, weil sie nicht mehr kostendeckend abrechenbar sind. Zudem hat in der Schweiz, wo das Gesundheitswesen durch Krankenkassenobligatorium, Staatssubventionen und Versicherungen nach VVG finanziert wird, die Bevölkerung ein Anrecht zu wissen, was mit ihren Steuergeldern und den jährlich steigenden Prämien geschieht.
Das Argument, Einkommenstransparenz in der Medizin sei nicht «im überwiegenden ­öffentlichen Interesse», ist sachlich unhaltbar und juristisch fragwürdig. Ich appelliere an die FMH, sich für eine Abschaffung der staatlich verordneten Verschleierungstaktik und für eine Wiedereinführung der Einkommensstudie einzusetzen.