Sennentuntschi

Horizonte
Édition
2018/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06497
Bull Med Suisses. 2018;99(11):360

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publié le 14.03.2018

Männer lieben künstliche Frauen. Darüber gibt es unzählige Geschichten von der antiken Pandora bis zu Hoffmanns Olimpia. Der Bildhauer Pygmalion verliebte sich in seine Statue, der Protagonist von Blade Runner in eine Androidin. Nicht zufällig tragen die neuen Haushalthelfer weibliche Namen wie Siri oder Alexa. Firmen wie Sinthetics und Mechadoll nennen ihre Silikonprodukte Aimée oder Stephanie. Lebensechte Puppen, deren Vor- und Nachteile ausgiebig in Blogs und Foren diskutiert werden.
Der Mann wohnte alleine in einem abgelegenen Höckli ohne Zufahrt. Ein scheuer Aussenseiter, der nur selten das Dorf für seine Einkäufe aufsuchte. Wegen seiner leichten Debilität und einer Verletzung bezog er eine IV-Rente, die alle zwei Jahre ein Arztzeugnis erforderte, eine reine Formsache. Lange nach abgelaufener Anmeldefrist kam er erstmals in die Gemeindepraxis; ­natürlich unangemeldet. Er klagte über Krämpfe in beiden Händen und unbestimmte Unterleibsschmerzen. Für beides gab es keine einfache Erklärung, und eine weitere Abklärung wünschte er ausdrücklich nicht. Kurze Zeit später gab eine Serie kleinerer Brandstiftungen zu Reden. Einige leere Scheunen ausserhalb des Dorfes brannten teilweise nieder, wobei niemand zu Schaden kam, und da die Versicherungen gross­zügig zahlten, war die Geschichte schnell vergessen. Erst ein Hausbesuch brachte unerwartet Klärung, da der Hausarzt in der Küche seines Patienten kistenweise Brandbeschleuniger entdeckte, was seine Vermutung bestätigte. Er hat ihn nicht angezeigt und gewann ­dafür das Vertrauen dieses Sonderlings, der ihm 
seine tiefe Not gestand. Er masturbierte exzessiv und litt extrem an Schuldgefühlen, was sein Leiden noch verschlimmerte. Schon in Zeiten vor dem Internet gab es einschlägige Kataloge für Gummipuppen. Neuland für beide. Das billigste Kautschukmodell musste damals noch aufgeblasen und zusammengesetzt werden. Das Ding kam aus dem Ausland und fand diskret ­seinen Bestimmungsort, was nur unter aktiver Mithilfe des Hausarztes möglich war, der immer einen Vorwand fand, irgendwelche Gerätschaften an abge­legene Orte zu transportieren. Nach einigen medizi­nischen Anweisungen hat das lange sehr gut funk­tioniert. Der Zweck heiligt die Mittel, so war es auch hier. Der Mann war zufrieden, keine Schmerzen, keine Brände.
Im Film Lars und die Frauen aus dem Jahr 2007 vom ­Regisseur Craig Gillespie ist es ein ähnlicher Aussenseiter, der sich eine Bianca bestellt, die er überall mitnimmt. Das ganze Dorf spielt mit, Bianca wird in den Kirchenvorstand gewählt und darf Kindern vorlesen. Schliesslich überwindet Lars seine Scheu und verliebt sich in eine richtige Frau, und Bianca wird unter gros­ser Anteilnahme beerdigt. Ein therapeutisches Puppenhaus, ein schönes Märchen, was die Anteilnahme der Familie und der Öffentlichkeit betrifft. Doch die Phantome rücken uns immer näher, denn es menschelt bei den Roboterfrauen. Das erste Bordell hat in Barcelona eröffnet, weitere sollen in der EU in Planung sein. Diskutiert wird ausschliesslich über das Haftungsrecht bei Unfällen.
Die erste Staatsbürgerschaft hat die schöne Roboterfrau Sophia von Saudi-Arabien erhalten. Als Ausdruck ihrer synthetischen Freude soll sie ihr Happy Face, eine Variante von 62 möglichen Gesichtsausdrücken aufgesetzt haben. Warum ziehen es Männer vor, wie Zuchtstiere eine Kuhattrappe zu bestossen? Dazu ein Doll­talker im Internet: «Weil mir die Beziehungskacke zu anstrengend ist.» Dem dürften viele seiner Kollegen zustimmen.

Weiterführende Informationen

www.personasynthetics.com
erhard.taverna[at]saez.ch