Managed Care Workshop Schweiz

Managed Care Workshop Schweiz: Zukunftserfindung 2017

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Édition
2017/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.06250
Bull Med Suisses. 2017;98(48):1608–1610

Affiliations
Dr. med., stv. Medizinischer Leiter mediX zürich AG

Publié le 29.11.2017

Vor rund einem Jahr, vom 1.–3. Dezember 2016, fand in Scuol der 19. Workshop ­Managed Care Schweiz statt. Die Ergebnisse der Tagung haben keineswegs an ­Aktualität verloren. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Thema Managed Care 3.0 als Antwort auf die schwindende Attraktivität der aktuellen Managed-Care-Produkte für Versicherer.
Zu Beginn der Veranstaltung zeigten drei Impuls­referate aus drei verschiedenen Blickwinkeln eindrucksvoll auf, vor welchen Herausforderungen sich die Managed-Care-Szene in der Schweiz befindet. Der Tenor der drei Referate machte unmissverständlich klar, dass die bisherigen Managed-Care-Modelle in die Stagnation geraten sind.

Die Perspektive der Krankenversicherer

Im ersten Impulsreferat präsentierte Oliver Reich von Helsana die Perspektive der Krankenversicherer. Nach Jahren beeindruckender zweistelliger Zuwachsraten in Alternativen Versicherungs-Modellen (fortan AVM-Modelle) hat sich das Wachstum in der jüngsten Vergangenheit stark verlangsamt. Damit scheinen die heutigen Managed-Care-Modelle sich in der späten ­Sättigungsphase des Produktlebenszyklus zu befinden, welche oft unmittelbar vor der Phase des raschen Rückgangs steht. Um die Attraktivität der Produkte für Versicherer, aber auch Patienten aufrechterhalten zu können, ist ein Innovationsschub daher dringend notwendig.
An den Ausgangspunkt für die Diskussion wurde die Feststellung seitens der Versicherer gestellt, dass es bezüglich Einsparungen zwischen den einzelnen Netzen eine sehr grosse Heterogenität gibt. Solche Einsparungen sind aber letztlich ausschlaggebend dafür, dass die Produkte langfristig zu attraktiven Konditionen platziert werden können.
Für die Helsana ist auch klar, dass eine Messung der (Netz-)individuellen Qualität mittels Performance­indikatoren künftig bei der Ausgestaltung von Managed-Care-Verträgen (fortan MC-Verträge) und damit einhergehend der Vergütung der Netze in Zukunft eine massiv wichtigere Rolle spielen wird.
Für alle Beteiligten wurde rasch deutlich, dass die Zeiten der Verteilung von Mitteln nach dem Giesskannenprinzip vorbei sind und dass die nachweisbare und transparente Qualität bald über Sein oder Nichtsein der Netze entscheiden wird. Nur so werden die Managed-Care-Produkte auch weiterhin für Versicherer, aber auch Patienten attraktiv bleiben. Das Pay-for-­Performance-Zeitalter wird sicherlich eines der neuen Hauptmerkmale von Managed Care 3.0.

Entwicklung der vertikalen Integration und 10 Thesen zu Managed Care

Das zweite Impulsreferat von Peter Berchtold vom FMC konzentrierte sich auf die Entwicklung der vertikalen Integration in den letzten Jahren. Es zeigt sich, dass in diesem Bereich vor allem die Westschweiz massiv zulegte.
Das dritte Referat hielt schliesslich Felix Huber von mediX, mit zehn Thesen zum Thema Managed Care 3.0, welche in leicht gekürzter Version wiedergegeben ­werden:
1. Die für MC echt engagierten Versicherer verlieren ihr Interesse an der Giesskannenvergütung für die Qualität und streben eine ergebnisorientierte Vergütung an. Die Einsparungen der Vertragsnetze werden von den Versicherern als zu bescheiden ­taxiert. Die bisherigen Qualitätsbemühungen genügen nicht. Die Versicherer fordern die Entwicklung von diagnosebezogenen Versorgungsindikatoren. Diese werden neben den Einsparzielen relevant für die Vergütung sein.
Die Teilnehmerin und die Teilnehmer des Workshops im vergangenen Jahr.
2. Das Mittelfeld der Versicherer zieht sich aus den MC-Verträgen zurück oder weigert sich weiterhin, für Ärztenetze attraktive MC-Verträge abzuschliessen, und setzt auf Listenmodelle und Pseudo-Integra­tionsprodukte.
3. Der Prozess gegen einen grossen Westschweizer Versicherer vor dem Bundesverwaltungsgericht wird bei den Listenmodellen eine entscheidende Weichenstellung bringen.
4. Auch der Bund will eine besser koordinierte Versorgung, lädt dazu ausländische Experten ein und will die Rolle der Apotheker stärken. Zusätzlich kommt der neue Risikoausgleich, der für die Versicherungen die gute und kostengünstige Behandlung von chronisch Kranken interessanter macht.
5. Strategie für die Vertragsverhandlungen: Netze werden sich gegenüber anderen in puncto Ergebnisqualität mehr unterscheiden müssen (z.B. Erarbeitung von relevanten Behandlungsindikatoren, Daten­erhebung in den Netzen und den einzelnen Praxen, konsequente Umsetzung von Guidelines, Diagnosecodierung, praxisübergreifende Versorgungskonzepte, Chronic Care mit Einbezug von nichtärzt­lichem Personal usw.).
6. Die Differenzierung zwischen extensiver Maximalmedizin und gut koordinierter optimaler Versorgung lässt sich auch in Zukunft marketingmässig (Versicherungsprodukteverkauf an die Versicherten) nicht umsetzen. Die Managed-Care-Produkte werden weiterhin ausschliesslich über den Prämien­rabatt verkauft werden.
7. Um die Position der Netzprodukte zu stärken, ist es ­unumgänglich, dass sich auch die Ärzte bei den Versicherten differenzieren. Der Verkauf der Versicherungsprodukte an die Versicherten könnte dann gestärkt werden, wenn gewisse qualitativ gute Ärzte nur oder fast nur Patienten aus Modellprodukten aufnehmen und zusätzlich deren Versorgungsqualität transparent gemacht wird.
8. Flächendeckende Netze werden es schwerer haben bei der Umsetzung von MC 3.0 und dem Abschluss attraktiver Verträge, da sie keinerlei Differenzierung bei den teilnehmenden Ärzten vornehmen. Es wird schwierig sein, alle Ärzte auf die neue Art der Versorgung umzustimmen und intern die ­nötigen Massnahmen zur Versorgungsqualität umzusetzen.
9. Die für MC engagierten Versicherungen werden neue Schritte im Bereich Datenlieferung an Netze und Ärzte einleiten müssen. Die aktuelle Daten­lieferung/Umfang ist gut 20 Jahre alt und für die Versorgungstransparenz nicht geeignet. Es muss die Bereitschaft bestehen, an die Netze die vorhandenen Daten strukturiert und detailliert zu senden.
10. Die Schweiz hat die besten Voraussetzungen für eine unbürokratische und laufende Optimierung der integrierten koordinierten Versorgung. Ohne die Innovationsbereitschaft der bisherigen Ärztenetze wird man uns Grundversorgern das Heft aus der Hand nehmen.
Die Thesen wurden intensiv diskutiert und grossmehrheitlich anerkannt.
Im Anschluss daran und an den Folgetagen erfolgten diverse Referate der einzelnen Teilnehmer, welche ihr Portfolio an Projekten, ihre spezifischen Herausfor­derungen oder Einzelprojekte im Detail vorstellten. Ebenso wurden verschiedene, als Kernthemen von Managed Care 3.0 interpretierte Inhalte in Kleingruppen aufbereitet und im Plenum diskutiert.

Managed Care am Scheideweg

Als Fazit kann festgehalten werden, dass sich die Teilnehmer im Wesentlichen einig darüber waren, dass sich Managed Care an einem Scheideweg befindet. Die bisherigen Strategien und Aktivitäten werden künftig nicht mehr ausreichen, um eine nachhaltige und ­attraktive Finanzierung ebendieser Leistungen zu ­gewährleisten. Um die Attraktivität der Modelle und damit auch der Produkte für die Versicherer zu heben, bedarf es einem Innovationsschub. Das Ärztenetz der Zukunft wird sich nachweislich differenzieren müssen. Eine sinnvolle Datenerhebung und Analyse der erbrachten Leistungen bezüglich Qualität steht dabei im Vordergrund. Die dafür vorhandenen Strukturen und IT-Systeme der Praxen und Netze sind jedoch dazu (noch) nicht in der Lage. Die Netze und Leistungs­erbringer werden hier erneut Pionierarbeit erbringen müssen, um durch Hebung ihres Anteils am schrumpfenden Topf von Managed-Care-Geldern weiterhin ausreichend finanziert zu sein. Nur über eine stichhaltige und nachgewiesene Differenzierung wird Managed Care attraktiv bleiben!

Managed Care 2.0

Steuerungsvergütung der Netze auf Basis von Inputfaktoren:
– Kosteneinsparungen
– Mit den Versicherern gemeinsam durchgeführte Projekte
– Durchführung von Projekten zur Qualitätsverbesserung, ­Patientenprojekten
– Steuerung des Patientenpfades

Managed Care 3.0

– Pay-for-Performance
– Transparente Qualitätsnachweise
– Differenzierung nach Modellen, Versicherern
– Strukturierte Datenerfassung und Analyse der Leistungen als Voraussetzung
– Patientensteuerung weiterhin integraler Bestandteil
Dr. med. Christian Peter
Stv. Medizinischer Leiter mediX zürich AG
mediX Praxis Altstetten
Hohlstrasse 556
CH-8048 Zürich
christian.peter[at]medix.ch