Aussergewöhnlich lustig und treffend

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.06032
Bull Med Suisses. 2017;98(38):1216

Publié le 20.09.2017

Aussergewöhnlich lustig und treffend

Brief zu: Zlot S. Karikatur Doppelblindstudie. Brief zum Cartoon in SÄZ Nr.34. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(36):1141–2.
Es scheint mein Schicksal zu sein, wegen Karikaturen in der «SÄZ» mit den Psychiatern ins Kreuz zu geraten. Ich fand die besagte Karikatur aussergewöhnlich lustig und treffend, das Letzte nicht nur für die Psychiater, aber auch für uns alle. Ich zeigte sie einem Bekann-
ten, der zufälligerweise in der Woche ihrer ­Erscheinung bei uns weilte. Seine Frau wurde kürzlich in die Psychiatrie eingeliefert, und wie nicht selten, litt sie auch, oder vor allem, unter einem unerträglichen, invalidisierten Schwindel. Er wunderte sich, dass die Psychiater weder die verschiedenen Manöver, die er im Internet kennenlernte, noch irgendeine Untersuchung des Ohres durchführten. Als ich sagte, vielleicht sollte sie von einem konsiliarischen ORL-Arzt (mehr zu Beruhigung) untersucht werden, erwiderte er, in der Psychia­trie seien doch auch Ärzte, sie sollten es kennen und können. Er brachte tatsächlich einen dazu, ein Otoskop zur Hand zu nehmen und das Ohr sogar anschliessend zu spülen (der verdammte Schwindel verschwand jedoch nicht).
Es gibt zwei Lehren (für mich) aus der Geschichte. Erstens, die Patienten kennen nicht immer im Voraus die Grenzen unserer Fähigkeiten und sind von ihrer Mangelhaftigkeit unangenehm überrascht. Vor Jahren wollte in Zürich ein wohlhabender (und auf sich etwas haltender) Patient unbedingt von einem weltberühmten Herzchirurgen seinen Blinddarm operieren lassen. Wie sich dieser aus der Affäre zog, ist mir nicht mehr bekannt. Zweitens ist es sehr schmerzhaft und kränkend, aber wir vegessen Kenntnisse und verlernen Fähigkeiten, die wir nicht ständig brauchen und benützen. Sogar eine dritte Lehre: Umgekehrt würde es auch Spezialisten nicht schaden, gelegentlich über den Hag zu schauen. Eigentlich sollte jeder Orthopäde mindestens die ­Diagnostik der Trigger-Punkte beherrschen und so auch jeder Psychiater einen zentralen von einem peripheren Schwindel unterscheiden können.
Ich muss Kollege Zlot darauf aufmerksam machen, dass er ein sog. «Liaisonpsychiater» und kein üblicher Psychiater ist. Professor Adler leitete im Gleichgewicht mit beiden Fähigkeiten, eines Psychiaters und eines Internisten, sogar jahrelang ausserordentlich erfolgreich eine ganze internistische Klinik. Diese Karikatur drückt all das kreativ, kurz und witzig aus, und nimmt dazu auch das übliche Reden über die Wichtigkeit der Doppelblindheit für die medizinische Wissenschaft aufs Korn.
Über sich zu lachen ist eine gute Eigenschaft, die nicht jedem gegeben ist. Menschen, die es nicht können, laufen Gefahr, in die Rolle einer «beleidigten Leberwurst» zu schlüpfen. Freud betont in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten die Wichtigkeit und Wirksamkeit eines guten Witzes. Die besagte Karikatur gehört zu dieser Art. Ihnen als einem Psych­ia­ter verrate ich auch den tiefen Grund meiner Stellungnahme: Ich verbrachte meine ersten dreissig Lebensjahre in politischen Systemen, in denen man nur den Feind karikieren durfte. Dazu gehörten auch bereits verfolgte Gruppen. Psychiater in der Schweiz werden zwar relativ unterbezahlt, aber weder verfolgt noch für politische Zwecke missbraucht.