Geschmacklos und entlarvend

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.06010
Bull Med Suisses. 2017;98(38):1216

Publié le 20.09.2017

Geschmacklos und entlarvend

Sehr geehrte Damen und Herren
Mit grossem Befremden habe ich das Nebeneinander des Artikels «Zu guter Letzt» und des gezeichneten Witzes von Bendimerad auf den Seiten 1088 und 1089 der Schweizerischen Ärztezeitung vom 23.8.2017 betrachtet. Auch wenn die letzte Seite unabhängig von der ­Redaktion gestaltet wird, so ist die Redaktion dennoch dafür verantwortlich, was wo und wie in der Zeitung gedruckt wird.
Die Schweizerische Ärztezeitung ist das «offi­zielle Organ» der FMH und hat mit dieser Kombination von Veröffentlichungen eindrücklich offengelegt und sichtbar gemacht, was die FMH von ihren Mitgliedern hält, die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie FMH sind.
Der Artikel von Frau Prof. Dr. med. Samia Hurst, den ich inhaltlich im Übrigen in keiner Weise kritisieren möchte, beginnt mit der Frage «Wo bleibt dabei die Verteilungsgerechtigkeit?». Diese Frage stelle ich mir auch oft, wenn ich die Erhebungen der Ärzteeinkommen in Ihrer Zeitschrift zur Kenntnis nehme, die alle Jahre wieder einen sehr grossen Unterschied in den Einkommen der verschiedenen Fachärzte offenlegen. Dieser Frage mag sich die FMH als Dachorganisation jedoch nicht annehmen, denn sonst würde sie in einen Konflikt mit den verschiedenen Fachärzte­gesellschaften geraten, den sie notabene – Verteilungsgerechtigkeit hin oder her – nicht riskieren möchte. Dabei ist offenkundig, dass die eklatanten Einkommensunterschiede in der Ärzteschaft in keiner Weise objektiv begründet werden können.
Auf der Seite neben diesem Artikel ist ein Bilderwitz veröffentlicht, in dem zwei Psychiater mit blödem erschrockenen Gesichtsausdruck vor einem EKG stehen und zwei Menschen ­eines imaginären sich belustigenden Publikums dies eine Doppelblindstudie nennen. 
Obwohl ich kein humorloser Mensch bin, und gelungenere Psychiater-Witze kenne, finde ich diesen gelinde gesagt geschmacklos und zugleich entlarvend.
Zur Erinnerung: Auch Psychiater haben mal Medizin studiert, und in meiner Assistenzarztzeit haben noch alle Patienten in der Klinik, in der ich zu arbeiten begonnen habe, ein EKG erhalten, welches vom Assistenzarzt grob beurteilt wurde. 
Wenn ich das heute nicht mehr mache, hat es etwas damit zu tun, dass mir einfach die Routine für diese Beurteilung fehlt und ich es lieber den Arztkollegen überlasse, die es besser können, weil sie täglich damit zu tun haben und über die entsprechende Erfahrung verfügen. 
Umgekehrt gibt es diese vorsichtige Zurückhaltung im Sinne von «Schuster, bleib bei deinem Leisten» offenbar nicht bei allen Arztkollegen. Es kommt nicht selten vor, dass schwer depressive Patienten erst dann zum Facharzt überwiesen werden, wenn man sie bereits zwei Jahre lang vergeblich behandelt hat, dass psychotische Patienten nicht als solche erkannt und dementsprechend falsch behandelt werden und dass somatische Kollegen ohne Rücksicht auf ICD-10 oder DSM-IV aus dem Bauch heraus psychiatrische Diagnosen stellen, die inhaltlich in keiner Weise gerechtfertigt sind. Aber 
es gibt glücklicherweise auch eine Reihe von somatischen Kollegen, die die Arbeit des Psychiaters nicht geringschätzen und gern und gut mit diesen zusammenarbeiten.
Ich wünsche mir, dass die FMH ihre Geringschätzung der Psychiater, wie sie hier deutlich und bildlich zum Ausdruck kommt, überdenkt und sich für eine gerechtere Verteilung der Arzteinkommen einsetzt, was nicht nur Psychiater, sondern z.B. auch Kinderärzte und Allgemeinmediziner betrifft.