Die heutige IV ist nur noch eine Teilversicherung für einige Privilegierte

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05982
Bull Med Suisses. 2017;98(36):1142

Publié le 06.09.2017

Die heutige IV ist nur noch eine Teilversicherung für einige Privi­legierte

Brief zu: Kurth H. Geld ist keine medizinische Begründung für den Krankheitsverlauf. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(34):1065.
Dass die IV bei der Beurteilung gesundheitlicher Invalidität die sozialen Teilursachen aufgrund des IV-Gesetzes groteskerweise grundsätzlich nicht würdigt, ist nicht nur ein leider allzu gut bekanntes Faktum, sondern ein eigentlicher Skandal, der nach einer internationalen Ahndung und Sanktionierung verlangt.
Dass psychosoziale Faktoren an den meisten Invaliditätsfällen oft sehr erheblich mitbeteiligt sind, ist wissenschaftlich längst erwiesen und sollte heute auch der allerletzten Ver­sicherung und Politik bekannt sein. Wenn das IV-Gesetz so beibehalten wird, auf Kosten ­unzähliger Betroffener, deren Berentung aus Spargründen verweigert oder sistiert wird, dann dürfte man nicht mehr von einer all­gemeinen Invalidenversicherung (für alle) sprechen, sondern von einer hochselektiven, hochrestriktiven Teilversicherung für einige auserwählte Invalide, die den Vorzug genies­sen, keine nachweisbaren oder nachgewiesenen sozialen Teilkomponenten ihrer Behin­derungen aufzuweisen. Frau Kurth schreibt, ganz zu Recht, die IV müsse bei einem Renten­entzug «gesundheitlich eine Besserung nachweisen». Wer aber weiss, wie die IV ihre Versicher­ten begutachten lässt, etwa durch Institute, die von ihr oft existenzsichernd abhängig sind, kann sich in etwa vorstellen, wie dieser «Nachweis» jeweils abläuft und ausfällt. Leider deckt es sich mit den äusserst bitteren, oft geradezu skandalösen realen Erfahrungen, die man in solchen Fällen auf der Seite der Betroffenen und ihrer Ärzte leider machen muss.