Von Klischees wegkommen

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05936
Bull Med Suisses. 2017;98(35):1105

Publié le 30.08.2017

Von Klischees wegkommen

Brief zu: Schlup J. Immer mehr Geld für Gesundheit? 
Immer mehr Gesundheit fürs Geld! Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(32):983.
Brand H. Antwort auf den offenen Brief der Präsidentin des Bündner Ärzte­vereins, Frau Dr. H. Jörimann. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(32):991.
Zunächst möchte ich unserem Präsidenten Jürg Schlup zu seinem Editorial und dem dazugehörigen Artikel herzlich gratulieren und danken.
Das ist doch genau einer der so wichtigen Punkte, über die niemand spricht. Und in ­diesem Zusammenhang werden auch so viele angebliche Fakten wiederholt, die schon lange hinterfragt oder zumindest genauer angeschaut werden sollten.
Dazu eignet sich der Leserbrief von Heinz Brand besonders gut. Fast jeder Satz provoziert einen Konter, vor allem, weil manches einfach nur einem Klischee entspricht, endlich bewiesen oder dann eben auch widerlegt werden sollte. So nur das Schlagwort «20% der medizinischen Eingriffe sind überflüssig». Selbst wenn dies stimmen würde, müsste ­genau analysiert werden, wie diese Zahl zustande kommt (es gibt nämlich auch Eingriffe, die sich erst hinterher als nicht indiziert oder falsch interpretiert erweisen, sie sind damit aber nicht einfach unnötigerweise als finan­ziell motivierte Leistung erbracht worden!), wäre das kein Beweis dafür, dass es das KVG so braucht mit all den sinnlosen Massnahmen, die man hier zur Qualitätssicherung eingeführt hat. Insbesondere bedeutet es nicht, dass wegen 20% angeblich zu viel erbrachter Leistungen alle Leistungserbringer bestraft werden sollen!
Der Vorwurf, ein Eingriff werde durchgeführt, weil man daran verdiene, wird immer und immer wieder wiederholt, ohne dass bis anhin irgendwer hätte beweisen können, dass er a) stimmt und b) die im KVG formulierten Massnahmen auch nur annähernd bewiesen hätten, dass sie genau dieses Problem in den Griff kriegen würden (was aus zwei Gründen logisch ist: Erstens weil der Vorwurf eben nicht stimmt und zweitens weil sich die im KVG angedachten Massnahmen als ungeeignet zur Steuerung und Qualitässicherung erwiesen haben). Im Gegenteil, seitdem mithilfe des KVG die Politik Aktionismus betreibt, ist die Medizin weder qualitativ besser geworden noch billiger. Umgekehrt könnte man ja dann eben formulieren, niemand dürfe jemals an irgendeiner Tätigkeit verdienen, z.B. der Apotheker am Verkauf von Medikamenten oder der Maurer am Erstellen eines Gebäudes, schliesslich bestehe ja die Gefahr, dass er es nur tut, weil er daran verdient. Was genau tut dann übrigens jemand wie Brand: Hat er ­überhaupt Anrecht darauf, etwas zu verdienen? Sorry für die provokative Frage, bietet sich aber an, wenn uns Ärzten ständig ans ­Schienbein gehauen wird (so kommt es mir jedenfalls vor, wenn ich mich jeden Tag dafür rechtfertigen muss, meinen Patienten die bestmögliche Diagnose und Behandlung angedeihen zu lassen).
Qualitätssicherung muss über ethische Verfahren funktionieren und vor allem über eine konsequente und perfekte Ausbildung. Dass hier in der Schweiz manchmal auch am falschen Ort gespart wird und die falschen ­Gesetze bemüht werden, wäre Grund genug, endlich mal vertieft darüber nachzudenken und dann entsprechende Korrekturen durchzuführen, statt immer nur gebetsmühlen­artig die gleichen Plattitüden zu wiederholen. Gespart wird nicht, indem man die Triage an immer schlechter ausgebildete und billigere Arbeitskräfte abdelegiert und den Leistungserbringern die Arbeit madig macht, indem man sie weder schätzt noch korrekt entlöhnen will, sondern indem man umgekehrt die entscheidenden Positionen mit Top-Leuten besetzt, die dann aber auch entsprechend ­kosten. Es wird trotzdem gespart, weil sie viel weniger Fehlentscheide fällen.
Ich könnte jetzt seitenlang so fortfahren und z.B. eben den Leserbrief von Herrn Brand ­zerpflücken, womit die Chancen, dass dieser Leserbrief abgedruckt wird, sinken. Also lass ich es bleiben. Es war mir umso wichtiger, Jürg Schlup zu danken, den Finger auf einen der wunden Punkte gelegt zu haben und eine neue Denkrichtung zumindest mal anzu­deuten.