Unverständliche Aktion gegen Ignazio Cassis

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/32
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05888
Bull Med Suisses. 2017;98(32):994–995

Publié le 09.08.2017

Unverständliche Aktion gegen Ignazio Cassis

Die unselige Plakataktion der Zürcher Ärzte in Bern (s. NZZ vom 20. Juli 2017 «Die Zürcher Ärzte schiessen scharf gegen Cassis») wird ihr Ziel in mehrfacher Sicht verfehlen, denn es ist ein Schuss auf den Mann statt auf die Sache. Wer soll denn diese Aktion verstehen? Was soll sie bringen? Für die Bevölkerung ist schwer verständlich, wie sich die grossen Einkommensunterschiede bei den Ärzten erklären, warum gewisse Eingriffe immer noch so teuer sind, auch wenn sie schneller und einfacher durchführbar geworden sind und warum die Prämien weiter steigen. Sehr wenig Verständnis hat der Bürger wohl auch für die unrühmliche Zerstrittenheit der Ärzteschaft, was TARMED betrifft. Und nun «schiesst» eine kantonale Gesellschaft auch gleich noch gegen einen Kollegen, der für den Bundesrat kandidiert. Glauben die Zürcher Ärztinnen und Ärzte allen Ernstes, dass ein anderer Bundesratskandidat ihre Anliegen besser vertreten wird? Dass eine andere Kandidatin ohne so viel Erfahrung im Gesundheitswesen auf wundersame Weise das Problem der steigenden Kosten in den Griff bekommt und die vielen (divergierenden) Anliegen der zerstrittenen Ärzte elegant löst? Was können wir denn mehr wollen, als einen Arzt im Bundesrat, der die Arbeit der Kantone kennt, der im Bundesparlament Erfahrung hat, der ausgewogen in der Mitte politisiert, aber auch nach Rechts und Links zuhören kann, der alle Landessprachen flies­send spricht, der die (berechtigten) Sorgen der Krankenkassen kennt, den wir selbst mit gros­ser Begeisterung in den FMH-Vorstand gewählt haben, der kritisch denkt und seine Meinung verteidigt, auch wenn er gegen die Strömung argumentieren muss (man nennt das Standfestigkeit).
Mir ist diese populistische, pseudo-neutrale Aktion der Zürcher Kollegen sauer aufgestos­sen. Die Kommentare, die ich in meinem Umfeld dazu gehört habe, haben mich beschämt. Es fehlt nur noch der Twitter, und wir sind in den USA. Das Plakat wird nicht als konstruktiver Beitrag der Ärzteschaft zur Lösung eines grossen Problems wahrgenommen, sondern als «Werbegag» in eigener Sache. Die Aufgabe von uns Ärztinnen und Ärzten ist es aber, Wege der Verbesserung zu suchen und zu finden, Kompromisse einzugehen, vielleicht auch innovative Ansätze zu entwickeln. Scharmützel auf diesem Niveau schaden der ganzen Berufsgruppe und bringen uns nicht weiter. Warum sind denn die Ärzte zerstritten? Doch nur, weil die einen (vermeintlich) zu viel und die anderen im Vergleich zu wenig verdienen, während die Kosten stark steigen. Ignazio Cassis ist Arzt, der auch die Seite der Patienten versteht (um die geht es im Gesundheitswesen ja auch ...). Er ist ein erfahrener Politiker, der auch die Anliegen der Ärzte bestens nachvollziehen kann. Aber auch er wird Kompromisse vertreten müssen und er wird unpopuläre Entscheide mittragen müssen. Ignazio Cassis wird mit seiner Persönlichkeit und seiner Erfahrung dem Gesundheitswesen sehr gut tun und er wird auch unsere Anliegen gut vertreten (soweit es ein «Unsere» gibt). Es wäre wirklich wichtig, dass wir die einmalige Chance, einen kompetenten, klugen Kollegen im Bundesrat zu haben, mit solchen Aktionen nicht vergeigen.