«Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam.»

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05708
Bull Med Suisses. 2017;98(23):726

Publié le 07.06.2017

«Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam»

Brief zu: Mégroz. Diese Suppe sollten wir nicht essen. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(19):614–5.
Kollege Mégroz ermutigt uns mit seinen ­Gegenargumenten, der MAS-Datenerhebung ent­gegenzutreten. Unterdessen wurde mir die dritte Mahnung vom Bundesamt für Statistik zugestellt, obwohl ich bereits vor Wochen und mit ausführlicher Begründung meine Teilnahme ablehnte. Aus Zeitgründen und wegen der vielen Rückfragen könne man nicht differenziert auf meine Einwände antworten. Die wiederholten Einladungen zur ­obligatorischen Teilnahme verweisen in ihrer Sprachregelung ausserdem auf andere, durchaus dunklere Zeiten. Man wird uns nächstes Jahr zwingen!
Welcher Zeitgeist beflügelt denn das Ganze? Ich behaupte, dass das Zeitalter der Ökono­misierung in der Medizin bald durch den Zeitgeist der Tyrannei abgelöst wird. Überdauernd sind das Jammern und Klagen aller sogenannten Akteure des Gesundheitswesens. Klagen und Jammern verbindet wenigstens. Doch welche Fragestellungen werden damit auch verhindert und welche Illusionen und Manipulationen werden geschürt? In der Ärzteschaft kursieren oft angstgeleitete Vorstellungen, warum und wieso man etwas gut finden oder wo man mindestens mitmachen sollte, nur schon im eigenen Interesse. Was aber verbindet die Ärzteschaft sonst noch? Wir sollten endlich Zahlen, Daten, am besten ganze Statistiken liefern, um unsere Ansprüche klar ­begründen zu können, meinen die Ärzte­gesellschaften. Ich sage nein, denn solches Vorgehen spaltet die Ärzteschaft, dient allenfalls der Selbstdarstellung von Jammerern und Blendern oder wird missbraucht zum Schönreden dessen, was schon lange benannt ist. Es dient zusammen mit den Einladungen zum Zwang letztlich nur denen, die ihre ­Komplizenschaft mit dem System begründen wollen, wenn es ihnen denn bewusst wäre.
Ich warne vor diesem Agieren, denn es reduziert uns die Erfüllung notwendiger Grund­bedürfnisse wie Sicherheit, Halt, Autonomie und Anerkennung. Ohne die Sicherstellung dieser Grundbedürfnisse für unsere tägliche Arbeit wird unser Berufsstand atomisiert. Der aufkommende Zeitgeist der Tyrannei kommt damit auch im Gesundheitswesen an. Kollege Mégroz vermag mit seinen Thesen den Widerstand in uns wecken, wenn er zum Schluss seiner Ausführungen das Recht des Bürgers erwähnt, unverhältnismässige Aufforderungen des Staates zu verweigern. Timothy Snyder [1], Professor für Geschichte an der Yale Uni­versity, erläutert in seinem neuen Buch über Tyrannei zwanzig Lektionen für den Widerstand. Die erste lautet: «Leiste keinen vor­auseilenden Gehorsam.» Wir sollten uns auch die übrigen Lektionen zu Herzen nehmen, ­bevor wir übertrump(f)t werden, was sehr 
(le) penibel wäre.