Irreführend

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05685
Bull Med Suisses. 2017;98(23):725

Publié le 07.06.2017

Irreführend

Brief zu: Streckeisen P. 35 Jahre Sparpolitik im Gesundheits­wesen. Schweiz Ärztezeitung. 2017;98(11):350–2.
Lieber Herr Streckeisen
Ihren Artikel fand ich sehr irreführend. Ihnen scheint die Natur und das Funktionieren von Märkten nicht ganz klar zu sein. So geht es ­leider auch vielen Ärzten, die sich nie mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben.
Der «ökonomische Blick» wurde nicht vor Jahrzehnten eingeführt, es gab ihn immer schon. Medizin hat immer schon gekostet. Die Frage ist einzig, wo und wie die Preisbildung entsteht und ob die Finanzierung auf Freiwilligkeit oder Zwang beruht. Ökonomie kennt hier nur zwei Polaritäten, die Markt- und Planwirtschaft, die es auch immer schon gab.
Der Markt, das sind Menschen, die handeln und tauschen, weil sie soziale Wesen sind, weil Handel und Tausch wesentlich Formen menschlichen Zusammenwirkens sind und weil sie als Menschen daraus Nutzen ziehen. Wo freier Tausch möglich ist, entsteht auch Vielfalt (dafür braucht es keine Institute) und Wettbewerb, der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und zu höherer Effizienz und Produktivität führt. Dies ist ein spontan evolutiver Prozess und wird nicht «politisch erzeugt», wie sie behaupten. Märkte hat es immer schon gegeben, genauso den Wettbewerb. Sie wurden nicht in den 80er Jahren eingeführt.
Unser Gesundheitswesen hingegen ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts und ist durch Akademisierung (Medizinstudium), Mono­polisierung (FMH etc.) und kollektiven Zwang (KVG) entstanden. Von Markt also keine Spur.
Auf einem Markt, also wo Menschen miteinander handeln, herrscht grundsätzlich «Ressourcenknappheit». Darunter versteht sich die Gesetzmässigkeit, dass die Bedürfnisse der Menschen unbegrenzt sind (insb. bezogen auf die Gesundheit!), die Resourcen (Geld, Zeit etc.) aber knapp. Flexible Preise sind notwendig, um eine effiziente Allokation der Ressourcen zu ermöglichen. Der Preis wird zum ­In­formationsträger für den steten Wandel 
der Bedürfnisse und Ressourcen. Aus diesem Grund funktioniert Preisfixierung (Bsp. TARMED) nicht. Da können noch so viele Admi­nistratoren hin- und herverhandeln. Ebenso kann eine «Ökonomisierung», die sich an diesen Fixpreisen orientiert, nur in die Irre führen.
Vor Einführung der Krankenversicherungen konnten Ärzte privat abrechnen. Durch die Zwangs-Kollektivierung (KVG) hat sich die Preisbildung auf eine nationale Ebene mit starren Tarifen verschoben, basierend auf ­einer undurchschaubaren Kostenrechnung der 90er Jahre. Preisbezogen sind wir also von der Markt- zur Planwirtschaft überge­gangen. Regulierte Märkte führen zu Verzer­rungen der Allokation und letztendlich über Regu­lierungsspiralen zu komplexen und in­effi­zienten Systemen, ähnlich der Planwirtschaft. Einen stabilen Zwischenzustand zwischen freiem Markt und Planwirtschaft hat es nie gegeben. Es gibt nur ein Hin und Her.
Der Markt ermöglicht einen Dienst am Mitmenschen. Die Logik heisst Orientierung an den Bedürfnissen der Mitmenschen, und wir sollten die Prosperität, die der Markt ermöglicht hat, gutheissen. Die heutigen Gesund­heitsöko­nomen haben sich leider dem Grundsatz des «Marktversagens» verschrieben und versuchen mit Empirie und mathematischen Modellen hier zu korrigieren. Damit sind sie 
der Planwirtschaft näher als dem Markt. 
Der marktwirtschaftliche Ökonom hingegen kann nur ein freier Unternehmer sein.
Weshalb das Ganze in den USA nicht funktioniert hat, liegt daran, dass es gar kein freier Markt ist, sondern von Anbietermonopolen, Lobbying und staatlichen Regulierungen geprägt ist. Hier sollte man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.