Ambulant vor stationär

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05485
Bull Med Suisses. 2017;98(11):337

Publié le 15.03.2017

Ambulant vor stationär

Brief zu: Brandenberg JE. Ambulant vor stationär – der erste Schritt zur Rationierung. Schweiz Ärztezeitung. 2017;97(8):258.
Ich muss Herrn Kollegen Brandenberg zu seinem Artikel gratulieren. Für mich ist sein Artikel der erste seiner Art aus der Feder eines Verbandspräsidenten. Er trifft den Nagel auf den Kopf, indem ganz grundlegende Über­legungen in seinem chirurgisch-kurz gehaltenen Œuvre aufgerollt werden. Die Verlagerung von stationär zu ambulant hat nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner, und das sind Steuereinsparungen. Politiker egal welcher Couleur und «Gesundheitsökonomen» – eine Berufsbezeichnung, die ein Widerspruch in sich trägt – haben es zusammen mit den Mainstream-Medien bisher in klandestiner Art vermieden, der Bevölkerung offen zu deklarieren, was sie im Schilde führen. Dank der konzertierten Aktion von Politik, Wirtschaft und Medien ist es diesen gelungen, die Prämienexplosion der Bevölkerung als «Kostenexplosion im Gesundheitswesen» zu verkaufen, wobei gleichzeitig wir Ärzte und die Spitäler als «Bölimann» angeprangert wurden. Auch wenn jeder Bürger in der Staatskunde lernt, dass Bund und Kantone Steuern erheben, um unter anderem die Gesundheit der Be­völkerung zu sichern, wurde genau dieses ­Prinzip mit der Unterschrift des Bundesrates (BR Delamuraz / ohne obligatorisches Referendum!) unter die WTO-Verträge begraben. ­Jedes WTO-Mitglied wird dazu verpflichtet, keine oder immer weniger Steuereinnahmen in den Service public fliessen zu lassen. Keine der politischen Parteien haben hier offen Einspruch erhoben: Die FDP hat dieses neoliberale Konzept angeführt, die SVP ist nach ­ihrem wirtschaftspolitischen Schwenker mitmarschiert und die Linksparteien (SP, Grüne, CVP) haben entweder im Gleichschritt mitgemacht (BR Dreyfuss mit der KVG-Revision 1995) oder aktiv dieser Strömung zugeschaut.
Die Verbände wie FMH, kantonale Ärztegesellschaften, ja, sogar viele Fachgesellschaften sind mit anderen laufenden Konflikten und Problemen vollkommen absorbiert (z.B. Tarifsysteme, DRG, Selbstdispensation, Qualitätsauflagen etc.). Während wir innerhalb unserer Verbände mit solchen Strohfeuern beschäftigt wurden, haben die politisch Verantwortlichen gehandelt: Der Bundesrat diktierte beim TARMED massgebend mit; die DRG wurden «erfolgreich» eingeführt und richteten die ersten Schäden in den öffentlichen Spitälern an. Und so ging’s immer weiter bergab. Während bis in die neunziger Jahre die verschiedenen Medizinalberufe (Ärzte, Zahnärzte, Apotheker etc.) geeint die Gesundheitspolitik mitbestimmen konnten, ist mit TARMED, DRG und Co. so viel Zwietracht gesät worden, dass der ärzt­liche Widerstand gegen die stets neuen Reformen durch die Politik zahnlos war.
Die neueste Notlösung aus der «Sackgasse der Kostenexplosion des Gesundheitswesens» (richtig wäre Prämienexplosion) wurde etwas zu plump ausgesprochen. Herr Kollege Brandenberg hat recht, wenn er sagt: ­«Rationierung gehört nicht in die Kompetenz der Ärzteschaft. Rationierung ist ein politischer Entscheid.» Herrn Brandenbergs Analyse ist kurz, knapp und vernichtend klar. Gefreut haben mich v.a. die Richtigstellung der Vergleiche ambulanter Verfahren im Ausland. Seinen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen, ausser die «Studie», wonach mehr Behandlungen vom stationären in den ambulanten Bereich verlegt werden können/sollen, der Firma PricewaterhouseCoopers. Zu dieser «Studie» möchte ich gerne den mir nicht gerade sympathischen Komiker Otto Waalkes (Ostfriesland) zitieren: «Übrigens, wussten Sie schon? Rauchen ist gesund – das hat mir Dr. Marlboro gesagt.»