Die Strategie der FMH 2017–2020

Stratégie de la FMH 2017-2020: Enjeux, objectifs, mise en œuvre

FMH
Édition
2017/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.05247
Bull Med Suisses. 2017;98(0102):4–6

Affiliations
a Dr. phil., persönliche wissenschaftliche Mitarbeiterin des Präsidenten; b lic. iur., Generalsekretärin der FMH; c Dr. med., Präsident der FMH

Publié le 10.01.2017

Um in regelmässigen Abständen unsere politischen wie strategischen Ziele zu ­reflektieren und damit die Stossrichtung unserer Aktivitäten zu überprüfen und gegebenenfalls neu festzulegen, erarbeitet der FMH-Zentralvorstand für jede Legislatur eine Strategie. Die darin definierten Ziele sowie die darauf bezogenen Subziele und Massnahmen bilden in den jeweils folgenden Jahren einen verbindlichen und nützlichen Leitfaden der gemeinsamen Arbeit.
Damit unsere Ziele die aktuell drängendsten Herausforderungen für die ärztliche Berufspolitik wider­spiegeln, führten wir für die Erarbeitung der Strategie Befragungen in drei verschiedenen Personengruppen durch (Abbildung 1):
Abbildung 1: Drei Perspektiven auf die Herausforderungen für die FMH.
Delegierte der Ärztekammer: An der Ärztekammer (ÄK) vom 29.10.15 erhielten alle Delegierten einen Fragebogen, auf dem sie die in ihren Augen relevanten Herausforderungen für die FMH notieren und ausserdem die wichtigsten drei mit einer Nummerierung von 1 bis 3 priorisieren konnten. 60 Delegierte füllten den Fragebogen aus, davon waren 27 Vertreter kantonaler Gesellschaften, zwölf von Fachgesellschaften und neun vom VSAO. Zwölf weitere nahmen anonym teil.
Gesundheitsexperten aus Wirtschaft und Politik: Im Januar 2016 wurden 13 Experten angefragt, die wichtigsten Herausforderungen für die FMH bis zum Jahr 2020 zu nennen. Nach sechs Wochen lagen zwölf Antworten vor. Diese kamen u.a. von zwei Verwaltungsratspräsidenten und einem CEO von Krankenversicherungen, von aktuellen und ehemaligen National- und Ständeräten und von namhaften Wissenschaftlern aus Gesundheitswissenschaften und -ökonomie. Unter den Befragten befanden sich mehrere Ärzte und Angehörige anderer Gesundheitsberufe mit Erfahrungen in der Gesundheitsversorgung.
– Abteilungsleitende des Generalsekretariats: Jede Abteilung des Generalsekretariats führte eine Situa­tionsanalyse durch und identifizierte drei Haupt­herausforderungen.
Durch den Einbezug dieser drei verschiedenen Per­spektiven sollte ein breites Bild gewährleistet werden: Die Herausforderungen aus Sicht der Ärzteschaft werden um die «Aussenperspektive» der Expertenmeinungen erweitert und durch die Befragung im Generalsekretariat können auch umsetzungsrelevante, operative Aspekte einfliessen. Zudem lassen Mehrfachnennungen aus verschiedensten Perspektiven Aussagen über die Relevanz einzelner Themen zu.

Drei Perspektiven – 
klare Gemeinsamkeiten

Die Antworten der Befragten wurden thematisch gruppiert. Dabei zeigte sich, dass drei Themen von allen drei Personenkreisen als Herausforderung benannt worden waren: (1) die Tarifrevision bzw. der Erhalt der Tarifautonomie, (2) der Umgang mit der Heterogenität des Verbandes und – vor allem aus ärztlicher Sicht – die Notwendigkeit des Zusammenhalts sowie (3) der Bereich eHealth und Digitalisierung.
Vonseiten des Generalsekretariats wurden neben diesen drei politisch-strategischen Aspekten ausserdem operative Herausforderungen thematisiert, darunter die Arbeit des Generalsekretariats eng an den Bedürfnissen der Basis auszurichten und mit den gegebenen Ressourcen professionell zu arbeiten.

Die Top 8 der Herausforderungen

Die vielen von den ÄK-Delegierten und den Experten genannten Herausforderungen wurden unter Berücksichtigung der Häufigkeiten der Nennungen sukzessive zu der in Tabelle 1 aufgeführten Top-8-Liste verdichtet. Sofern die ÄK-Delegierten auf ihren Fragebögen die Möglichkeit zur Priorisierung genutzt hatten, wurden die gesetzten Prioritäten in der Auszählung berücksichtigt.
Tabelle 1: Top 8 der sukzessive verdichteten, meistgenannten Herausforderungen.
PrioritätHerausforderung
1Tarifautonomie
2Zusammenhalt des Verbandes und damit ­Fähigkeit, nach aussen geschlossen aufzu­treten und Einfluss zu nehmen
3Wirksame Interessensvertretung
4eHealth
5Qualität
6Kosten-/Nutzen-adäquate Medizin
7Zulassungssteuerung
8Gestaltung und Attraktivität der Berufs­ausübung in der Zukunft
Diese Auszählung der Häufigkeiten zeigte, dass sowohl bei den Ärzten wie auch den Experten keine Herausforderung häufiger genannt wurde als der Bereich «Tarifrevision und Tarifautonomie», der folglich in Tabelle 1 als höchste Priorität erscheint. Ein weiteres Thema, dass sowohl von den ÄK-Delegierten als auch von den Experten oft als Herausforderung betrachtet wurde, betrifft kein politisches Sachthema, sondern die Heterogenität der FMH als Verband, die ein geschlossenes Auftreten nach aussen mitunter erschwert. Da gleichzeitig die Bedeutung einer wirksamen Interessensvertretung hoch eingeschätzt wird, forderten die ­ÄK-Delegierten, dieser Herausforderung mittels Konsenspolitik und Solidarität innerhalb der Ärzteschaft zu begegnen.
Auch der Bereich eHealth wurde von ÄK-Delegierten wie Experten als eine der wichtigsten Herausforderungen eingestuft. Die diesbezüglichen Forderungen der ÄK-Delegierten reichten vom allgemeinen Ausbau der elektronischen Vernetzung bis hin zu sehr konkreten Vorstellungen zu einer vereinheitlichten, elektronischen Krankengeschichte mit verbindlichen Standards und klinischer Relevanz oder auch schweizweit kompatibler, praxistauglicher Software.
Ebenfalls hohe Bedeutung massen beide Gruppen dem Thema «Qualität» zu. Die Experten erachteten vor allem eine glaubwürdige Politik zu Patientensicherheit, Leistungs- und Qualitätstransparenz als unverzichtbar, während bei den ÄK-Delegierten der konkrete ­Einsatz für hohe Qualität und Standards sowie die ­Mit­gestaltung der Definitionen und Messbarkeit im Vordergrund stand. Vielfach wurde auch die Rolle von Aus-, Weiter- und Fortbildung für die Gewährleistung hoher Qualität unterstrichen. Sowohl für ÄK-Delegierte als auch für die Experten muss qualitativ hochstehende Medizin auch kostenadäquate Medizin sein. Hier sehen die befragten Ärzte die Notwendigkeit, den Umgang mit beschränkten Ressourcen zu thematisieren, und auch die Experten fordern eine Führungsrolle der FMH in «appropriate care».
Eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen den beiden Gruppen tat sich in Bezug auf die Zulassungs­regulierung bzw. den Kontrahierungszwang auf. Während dieses Thema bei den Experten die am dritthäufigsten genannte Herausforderung war, wurde es lediglich von zwei der 60 antwortenden ÄK-Delegierten aufgeführt. Ob der Ärzteschaft die Tragweite dieser im Parlament vehement vertretenen Forderungen nicht ausreichend bewusst ist oder ob sie sich angesichts der FMH-Aktivitäten in diesem Bereich bereits gut genug aufgestellt sieht, kann hier leider nicht beantwortet werden.
Umgekehrt wiesen aber auch die Experten einen «blinden Fleck» bei einem Thema auf, das die ÄK-Delegierten stark beschäftigte: In Hinblick auf die Sicherung der medizinischen (Grund-)Versorgung thematisierten die Delegierten vielfach den ärztlichen Nachwuchsmangel sowie die Gestaltung und Attraktivität der ärztlichen Berufsausübung in der Zukunft, die viele auch durch Regulierung und Einschränkungen der freien Berufsausübung bedroht sehen. Zwar weisen diese von den ÄK-Delegierten formulierten Herausforderungen Überschneidungen mit der von den Experten angesprochenen «Rolle des Arztes» und «neuen Versorgungsmodellen» auf. Die Experten fassten darunter aber vorwiegend Aspekte wie die sinkende Zahl der Einzelpraxen, die Digitalisierung, die «mündigen» Patienten sowie die Zusammenarbeit mit «nichtärzt­lichen Fachleuten» in Hinblick auf Aufgabenteilung und «Anordnungsmonopol». Aus Ärzteperspektive relevante Aspekte wie Auswirkungen spital- und kassenbetriebener Praxen oder das Potential vergrösserter Delegationsmöglichkeiten wurden hingegen von den Experten nicht thematisiert.

Festlegung der Hauptziele und ­Verantwortlichkeiten

Durch die Reduktion des Zentralvorstands von neun auf sieben Personen und die einhergehende Neuverteilung der Dossiers konnten die oben beschriebenen Her­ausforderungen bereits in die inhaltlichen Definitionen der neuen ZV-Departemente einfliessen. So wurde z.B. das Departement «Dienstleistungen und Berufsentwicklung» neu geschaffen. Vor allem bildeten diese empirisch erhobenen Herausforderungen aber die Grundlage dreier Workshops des Zentralvorstands, der im Juni 2016 in einem ersten Schritt Hauptziele für alle Departemente festlegte.
– Proaktive Gesundheitspolitik mit einer Stimme (Politik und Kommunikation)
– Qualität weiterentwickeln und sichtbar machen (Daten, Demographie und Qualität)
– Entwicklung der Berufsidentität und -ausübung (Dienstleistungen und Berufsentwicklung)
– Ambulante Tarifautonomie und sachgerechte Entschädigung (Ambulante Versorgung und Tarife)
– Stationäre Tarifgestaltung und sachgerechte Entschädigung (Stationäre Versorgung und Tarife)
– Digitale Transformation in der Medizin im Dienste der Ärzteschaft, der Patientinnen und Patienten ­(Digitalisierung/eHealth)
– Public Health unterstützen und fördern
(Public Health und Gesundheitsberufe)
– Professionelle Supportleistungen des GS gewährleisten (Generalsekretariat)
Im Juli wurden unter Einbezug der Abteilungsleitungen die auf die Hauptziele bezogenen Subziele festgelegt, zu denen dann im August 2016 wiederum die strategischen Massnahmen definiert wurden. Bei allen strategischen Hauptzielen, Subzielen und Massnahmen wurde darauf geachtet, dass sie sowohl den Herausforderungen Rechnung tragen als auch eine sinnvolle Kontinuität der Arbeit aus der letzten Legislatur gewährleisten.

Umsetzung und Controlling

Die auf den erhobenen Herausforderungen basierenden Haupt- und Subziele sind eine massgebende Grundlage für die Formulierung der Jahresziele und des Budgets der FMH. Wie bereits in der Vergangenheit praktiziert, werden Ziele und Massnahmen einmal pro Jahr durch den ZV überprüft und bei Bedarf ergänzt. In Hinblick auf die Umsetzung der Haupt- und Subziele nimmt der ZV gleichzeitig einen Soll-Ist-Vergleich vor. Dabei festgestellte Abweichungen sind durch die Departementsleiter oder die Generalsekretärin zu begründen.

Fazit: eine empirisch abgestützte, ­transparente Arbeitsgrundlage

Aufgrund der hier beschriebenen Strategieentwicklung kann die Arbeit der FMH in der neuen Legislatur an empirisch erhobenen Herausforderungen ausgerichtet werden. Die Befragung von ÄK-Delegierten, Experten und Kadern des Generalsekretariats machte ein breites Spektrum an Herausforderungen sichtbar. Auch wenn die Auswertung ihrer Angaben sowohl wegen der nicht gewährleisteten Repräsentativität der Befragten als auch wegen der inhaltlichen Heterogenität und Überlappungen der Antworten keine exakte Wissenschaft sein kann, erwiesen sich in der Analyse ­einige Trends doch als eindeutig genug, um als verlässlich gelten zu können und eine gute Grundlage zu bilden.
Dr. med. Jürg Schlup
Präsident der FMH
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